Albert Sting ist ein Zeitzeuge des vergangenen Jahrhunderts. Der Ludwigsburger Ehrenbürger ist besorgt. Einst brannten die Synagogen, und heute werden Flüchtlingsunterkünfte in Brand gesetzt.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Ludwigsburg - Albert Sting ist alarmiert. „Brandstiftungen 1938 – Brandstiftungen 2015“ steht auf dem Plakat, das sein Konterfei zeigt. Sting will nicht wegschauen, und er will auch nicht, dass andere wegschauen, wenn sich quer durch das Land die Übergriffe gegen Unterkünfte für Schutzsuchende häufen. Deshalb wendet sich der Ehrenbürger der Barockstadt an die Ludwigsburger und lädt sie ein, ihre Meinung zu sagen. „Ich frage die Menschen unserer Stadt“, ist auf dem Plakat zu lesen, das von Montag an an 30 Standorten in der Stadt zu sehen sein wird. Der 91-Jährige ruft dazu auf, über die ihn beunruhigenden Parallelen zwischen den Brandstiftungen bei Flüchtlingsheimen und den Judenpogromen anno 1938 zu diskutieren.

 

Im Kern geht es dem Pfarrer und Lokalhistoriker darum, eine Antwort darauf zu finden, wie man reagieren müsse, „wenn – ähnlich wie damals – Brandschatzung gegen Fremde stattfindet?“ Es fange immer mit einer Kleinigkeit an, so seine Lehre aus einem langen Leben. Sting will mit seinem Appell gegen die Gleichgültigkeit in der Gesellschaft angehen. Für ihn ist die Antwort klar: „Wir müssen das Denken, dass andere für uns Unglück bewirken können, völlig verwerfen.“ Ihn treibt die Frage um, ob es schon soweit ist, dass der zersetzende Geist der Nazi-Zeit „in anderen Kleidern“ wieder gesellschaftsfähig ist. Diese Frage will er ergebnisoffen diskutieren – auf möglichst breiter Basis.

Sting hat das „Wehret den Anfängen“ verinnerlicht

Sting ist ein Zeitzeuge des Ludwigsburger Synagogenbrands vom 10. November 1938. Täglich führte ihn sein Schulweg ins Friedrich-Schiller-Gymnasium an den Trümmern des niedergebrannten Gotteshauses vorbei. Das „Wehret den Anfängen“ und den Wunsch, dass so etwas nie mehr geschehen darf, hat er verinnerlicht. Deshalb ist er Mitglied des Arbeitskreises „Dialog Synagogenplatz“ und einer der Initiatoren der Ludwigsburger Stolpersteine. Bei der jüngsten Sitzung des Arbeitskreises Anfang Dezember sprach er über seine Sorge, dass die Gewalt gegen Flüchtlinge eskalieren könne. Damit war die Idee für die jetzige Aktion geboren.

„Unser Ziel ist es, eine ernsthafte und seriöse Diskussion anzuregen“, sagt Jochen Faber vom Arbeitskreis. Geführt werden soll diese Auseinandersetzung auf der Internetseite des Vereins. Per E-Mail sollen die Diskutanten ihre Positionen darstellen. „Wir sind uns im klaren darüber, dass dort auch Dinge stehen werden, die uns nicht gefallen werden“, sagt Faber. Das müsse man aushalten Täglich sollen die einlaufenden Diskussionsbeiträge auf die Seite gestellt werden. Und zwar ausnahmslos alle – es sei denn, sie seien rechtswidrig, erklärt er.

Eine Diskussion in Echtzeit, wie sie etwa in dem Netzwerk Facebook möglich wäre, sei für den Verein nicht realisierbar, „da wir nicht die personellen Kapazitäten haben, sie zu moderieren.“ In einem weiteren Schritt will der Verein dann beraten, welche Aktion auf die Worte folgen können. Seine Ziel: eine solidarische Welt.

Diskussionsplattform

Person
Albert Sting (91) ist Lokalhistoriker. Der Theologe und Psychologe war Pfarrer an der Ludwigsburger Stadtkirche und Direktor der Karlshöhe.

Aktion
Unter der Internetadresse www.synagogenplatz.de ist der Film mit dem Aufruf Albert Stings abzurufen. Bis zum 22. Januar sammelt der Arbeitskreis Dialog Synagogenplatz unter der Adresse dialog@synagogenplatz.de Meinungsbeiträge, wie die Gesellschaft auf die Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte reagieren solle.

Gewalt
Der Brandanschlag vom Oktober 2015 auf ein Gebäude, das an eine Remsecker Asylunterkunft angrenzt, ist noch nicht aufgeklärt.