Im Ludwigsburger Kunstverein öffnet am Sonntag die Ausstellung „Die Tarnung der Bilder“ mit Werken von Esther Stocker. Für den Aufbau ihrer geometrischen Experimente hat die Künstlerin Gymnasiasten engagiert.

Ludwigsburg - Ein Abiturient des Ludwigsburger Goethe-Gymnasiums wirft mit dem Satz des Pythagoras um sich. „A-Quadrat plus B-Quadrat ist gleich C-Quadrat.“ Vermutlich will er nur seine Mitschülerinnen beeindrucken, denn was der 17-Jährige gerade tut, geht auch ganz ohne Formeln ab: Er arrangiert gemeinsam mit seinem Kunstlehrer Mark Steffen Bremer und seinen Klassenkameraden ein Kunstwerk, das aus etwa zwei Dutzend unterschiedlich langen Holzlatten besteht. Die Künstlerin Esther Stocker hat die Schüler dazu eingeladen. Sie will sehen, was aus ihren Entwürfen wird, wenn sich andere ihrer Skizzen annehmen.

 

Linien und Punkte

Geometrie, das ist für viele ein Reizwort. Sie denken dabei vor allem an Schule, strenge Raumstrukturen und das Geodreieck. Die 1974 im italienischen Silandro geborene Künstlerin jedoch versteht darunter zuerst etwas Spielerisches: Wie lassen sich Räume erschließen oder gar verändern? Welche Strukturen lassen sich besonders hervorheben, und was bewirken Raster? Stocker arbeitet mit Holz, Baumwolle, Klebeband, Leinwand und Farbe. Genau genommen beschränkt sich ihr Farbenspektrum auf Grau, Schwarz und Weiß. Es ist ähnlich zurückgenommen wie ihre Formensprache: Sie hält es mit Linien, Punkten, Quadraten und Netzgittern.

Mit diesen reduzierten Mitteln spannt sie Netze oder stellt und hängt einzelne Objekte in den Raum. Das hört sich nach kühlem Experiment an, in dem der Mensch nur stört. Bei Stocker aber spielt der Mensch eine tragende Rolle, er ist der eigentliche Gestalter des Raums: Gekrümmte Linien und minimale Abweichungen vom Schema ergeben Raumtiefe, aber erst der Mensch bringt ihn in Bewegung.

Dass Gymnasiasten mitgestalten durften, ist neu im Kunstverein: Für die Künstlerin war es Aufbauarbeit, für die Schüler eine Unterrichtsstunde. Und zwar eine außerordentliche. „Diese besondere Qualität kann man im Unterricht nicht vermitteln“, sagte der Kunsterzieher Bremer. Und er habe ganz bewusst darauf verzichtet, die Schüler auf diese Stunde vorzubereiten. „Wir hätten ja alle googeln können, was da auf uns zukommt. Aber wir wollten, dass alles spontan vor Ort geschieht.“

Differenz zwischen Entwurf und Rauminstallation

Ausgerüstet mit Zeichenstift und Block durften sich die Schüler der Kursstufe 2 zunächst ausdenken, wie sie die Elemente, die ihnen die Künstlerin vorlegte – fünf Zentimeter bis zwei Meter lange, weiße Latten – im Raum verteilen möchten. Schon hier gingen die Auffassungen weit auseinander, eine Vorauswahl musste getroffen werden. Die Gymnasiasten mussten sich auf einen ihrer Entwürfe einigen und ihn dann gemeinsam umsetzen. Dass sich aber dann die Zeichnung nicht zu 100 Prozent in den dreidimensionalen Raum übertragen ließ, gehörte zu den Erfahrungen, die sie anschließend machten.

„Das geht mir auch so“, freute sich Stocker. „Wenn ich mit meinen Bleistiftentwürfen an die Umsetzung gehe, gibt es noch einmal starke Abweichungen.“ Die Künstlerin hat an der Accademia di Belle Arti di Brera in Milano und am Art Center College of Design in Pasadena (Kalifornien) studiert. Ihre frühen Ausstellungen waren mit programmatischen Motti wie „Geometrisch betrachtet, sind alle Richtungen im Raum gleichwertig“ (Künstlerbund Berlin, 2005) überschrieben. Die aktuelle Ausstellung in Ludwigsburg trägt dagegen den schlichten Titel: „Die Tarnung der Bilder“.