Der Verein Frauen für Frauen bringt ein landesweit einmaliges Projekt auf den Weg, das mehrere Hilfsangebote vernetzen soll. Damit sollen Opfer häuslicher Gewalt unterstützt werden, die zusätzlich behindert, suchtkrank oder psychisch krank sind.

Ludwigsburg - Sabrina ist 31 Jahre alt, als sie im Frauenhaus landet, ihre Söhne sind elf und sieben. Sie wurde immer wieder von ihrem Mann geschlagen, zuletzt bedrohte er sie mit einer Axt. Im Ludwigsburger Frauenhaus sind Mutter und Kinder zunächst in Sicherheit. Aber Sabrina hat noch mehr Probleme: Sie ist depressiv und trinkt zu viel Alkohol. Dabei hatte sie sich immer geschworen, diesen nicht anzurühren. Ihre Mutter war Alkoholikerin, deshalb wuchs sie bei der Oma auf – bis diese starb, als Sabrina sieben war. Fortan wohnte sie bei ihrer Mutter, erlebte ständig wechselnde Partner, Drogenexzesse und Gewalt. Mit 13 ging sie von zu Hause weg, mit 17 lernte sie ihren künftigen Mann kennen, der ihr versprach, sie nie mehr zu verlassen. Trotz seiner Gewaltausbrüche, die Sabrina nur unter Medikamenten und Alkohol erträgt, kommt eine Trennung für sie nicht in Frage.

 

Dieser Fall hat sich tatsächlich so zugetragen – nur der Name ist verändert. „Die Sache ist sehr komplex – aber das ist keine Seltenheit“, sagt Adelheid Herrmann, die Leiterin des Beratungszentrums bei häuslicher Gewalt im Frauenhaus. Das Schicksal von Sabrina zeige exemplarisch, dass hier nicht nur auf einer Schiene geholfen werden könne. Denn es gelte zum einen, Mutter und Söhne vor dem gewalttätigen Mann zu schützen, zum anderen müsse die Frau aber auch ihr Alkoholproblem und die Depressionen in den Griff bekommen.

Gefahr von Mordanschlag und Suizid

Angesichts der dramatischen Situation sei zudem Eile geboten. Nicht zuletzt drohe auch die Gefahr eines Mordanschlags von Seiten des Mannes – oder der Suizid der Frau. „In einer solchen Lage kann man nicht jedes Mal das Rad neu erfinden“, sagt Adelheid Herrmann. Deshalb sei ein Konzept für das Vorgehen in einer derartigen Krise notwendig – und zwar im Hinblick auf die Koordination verschiedener Stellen. Allein schon aus rechtlichen Gründen könnten sich die Sozialarbeiterinnen im Frauenhaus nicht um alle Problembereiche von Sabrina kümmern: „Ich darf zum Beispiel gar keine Diagnose stellen“, erklärt Herrmann. Auch in der Suchttherapie kenne sie sich nicht aus.

Im Zusammenhang mit dem neuen Projekt Leiko (Leitlinien-Konzept) sollen in den kommenden drei Jahren deshalb Leitfäden zur interdisziplinären Zusammenarbeit erarbeitet werden. Ziel dabei ist es, ein verlässliches Netzwerk von Kooperationspartnern aufzubauen, über das schnelle und effiziente Hilfe möglich wird. Die Leitlinien sollen so konzipiert sein, dass sie auch in anderen Beratungszentren für häusliche Gewalt angewandt werden können. Denn ein solches Handlungskonzept gibt es laut Adelheid Herrmann in Baden-Württemberg bislang nicht. Bundesweite Studien hätten ergeben, dass es in ganz Deutschland kaum Hilfsangebote für Frauen gebe, die nicht nur Gewalt ertragen müssten, sondern die zudem sucht- oder psychisch krank seien oder eine Behinderung hätten. Dabei seien die meisten Opfer häuslicher Gewalt zumindest auch schwer psychisch belastet und traumatisiert.

Bewusstsein für die Problematik wecken

Pia Rothstein wird das auf drei Jahre angelegte Projekt Leiko leiten. Die Sozialpädagogin ist bereits seit drei Jahren in der Fachberatungsstelle des Ludwigsburger Beratungszentrums tätig, ihre neue 50-Prozent-Stelle für Leiko wird von der Aktion Mensch finanziert. Rothstein geht es darum, zunächst überhaupt ein Bewusstsein für die Problematik bei den verschiedenen Stellen zu schaffen, also etwa bei der Suchthilfe, in der Psychiatrie oder in Behinderteneinrichtungen. Deshalb sollen die entsprechenden Organisationen zunächst auf Leitungsebene ins Gespräch kommen. Parallel sind drei Fachtage geplant, auf denen erörtert wird, wie mit Gewaltopfern umzugehen ist, die zusätzlich weitere gravierende Probleme haben. Zudem will Rothstein die Bedürfnisse der verschiedenen Akteure erfragen – und daraus dann die Leitlinien für das Vorgehen in Krisensituationen ableiten. „Das ist ein sehr ambitioniertes Projekt“, sagt Herrmann.