Mit Rabatten für Umsteiger auf den Nahverkehr beim Feinstaubalarm wollen Stadt und Land vom 11. Januar an das Verkehrsaufkommen bei schadstoffträchtigen Wetterlagen senken.

Stuttgart - Im neuen Jahr gehen die Verkehrs- und Umweltbehörden der Landeshauptstadt und des Landes in den Alarm-Modus: Vom 11. Januar 2016 an wird an Tagen mit schadstoffträchtigen Wetterlagen in der Region ein Feinstaubalarm ausgelöst. Dieser soll ein Appell an die Bürger sein, freiwillig auf das Auto zu verzichten und stattdessen mit Bus und Bahn zur Arbeit zu fahren. In der kalten Jahreszeit sollen auch Komfortöfen und Kamine kalt bleiben. Zwischen der Auslösung des Feinstaubalarms am frühen Nachmittag und dem tatsächlichen Beginn liegt ein „Brückentag“, damit die Bürger ihre Mobilitätsalternative wählen können.

 

Der Alarm sei ein Teil eines umfassenden Stufenkonzepts, um die zu hohen Feinstaub- und Stickoxidwerte in Stuttgart zu senken, erklärte Landesverkehrsminister Winfried Hermann am Freitag bei einer Pressekonferenz im Rathaus. Die Warnstufe werde ausgelöst, wenn der Wetterdienst mindestens an zwei aufeinanderfolgenden Tagen eine schadstoffträchtige Inversionswetterlage (siehe Infokasten) melde. Die Bevölkerung werde über das Internet, Zeitungsanzeigen, Verkehrsmeldungen sowie Tafeln an Ein- und Ausfahrtstraßen informiert.

Fahrverbote in zwei Jahren möglich

„Wir nehmen die Schadstoff-Rüge der EU-Kommission wegen der überschrittenen Grenzwerte sehr ernst“, betonte Hermann. Brüssel habe das umfassende Konzept von Stadt und Land als geeignet akzeptiert, achte aber sehr genau auf dessen Umsetzung. Auch die Bürger und die Wirtschaft müssten jetzt eine Verantwortung für die Luftqualität in der Landeshauptstadt übernehmen. „Jeder ist doch ein Teil des Problems“, so Hermann. Er erwarte von dem Appell, das Auto an Tagen mit dicker Luft freiwillig stehen zu lassen, einen Rückgang der Schadstoffwerte um mindestens 20 Prozent. Andernfalls müsse man vom Winter 2017/18 an harte Maßnahmen, also auch Fahrverbote, anordnen.

„Wir haben schon sehr viel für die Verbesserung der Luftqualität in Stuttgart gemacht, aber ich bin noch nicht zufrieden“, erklärte Oberbürgermeister Fritz Kuhn. Der Alarm solle die zu hohen Werte auf breiter Front senken. Die Bevölkerung müsse dazu beitragen, dass die Luft zum Schutz der eigenen Gesundheit besser werde. In puncto Stickoxidbelastung, die von Hermann und Kuhn als besonders gesundheitsgefährdend eingeschätzt wird, ist der Grenzwert am Neckartor in diesem Jahr bereits 61 Mal (18 Werte im Jahr sind erlaubt) überschritten worden. Messungen im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH) in Stuttgart haben jüngst eine extreme Belastung der Luft mit NO2 ergeben. Greenpeace hatte in Berlin sogar in Schulen und Kitas sehr hohe Werte registriert (die StZ berichtete). Ob es solche Innenraummessungen auch in Stuttgart geben wird, ließ Kuhn vorerst offen. Er gab stattdessen die Empfehlung aus: „Besser zum richtigen Zeitpunkt lüften.“

Regierungspräsident Johannes Schmalzl betonte, dass die Luftreinhaltepläne seiner Behörde in den vergangenen zehn Jahren erfolgreich gewesen seien. „Nur am Neckartor liegen wir noch deutlich darüber.“ Dort wurde das Feinstaub-Limit bis zum 10. November bereits an 52 Tagen überschritten. Zulässig sind nur 35 Tage. OB Kuhn rechnet in diesem Jahr mit einem auf dem Vorjahresniveau von 64 Tagen liegenden Ergebnis.

Rabatte für Umsteiger auf den Nahverkehr

Stadt und Land raten den Bürgern, beim Feinstaubalarm auf Bus und Bahn sowie das Fahrrad umzusteigen. Auch Fahrgemeinschaften könnten helfen, das Verkehrsaufkommen zu reduzieren. „Wir bemühen uns bei der Stadt, auch die Arbeitszeiten flexibler zu gestalten, um die Hauptverkehrzeiten zu entlasten“, so Kuhn. Im Alarmfall gebe es besondere Vergünstigungen für Umsteiger. Diesen bietet der VVS einen zusätzlichen Freimonat bei der Buchung eines Jahrestickets an. Während der ersten beiden Feinstaubalarme können Einzeltickets des Nahverkehrs über die App der Daimler-Tochter Moovel mit 50 Prozent Rabatt auf den regulären Fahrpreis erworben werden. Auch die elektrische Car2go-Flotte ist während eines Ausnahmezustands zum halben Preis zu haben. Innerstädtisch bringt die SSB-Stadtbahnlinie U 11 Autopendler vom Wasen in die Innenstadt. Zudem verkehren die S-Bahn-Linien 1, 2, 3 und 5 bei einem Alarm über die Hauptverkehrszeiten hinaus als Langzüge.

Die Grünen im Rathaus bejubelten die Ankündigungen: Unter der Überschrift „Dicke Luft, ade“ verschickten sie eine Erklärung. „Wir hoffen auf mündige Bürger, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind“, so Fraktionschef Andreas Winter. Die Co-Vorsitzende Anna Deparnay-Grunenberg verglich die angestrebte Veränderung des Mobilitätsverhaltens der Bevölkerung mit der Geburt eines Kindes. Auch dann sei es Zeit für eine Neuorientierung.