Beim Kongress „Stadt der Zukunft – Zukunft der Stadt“ in Stuttgart setzen Fachleute auf eine „intelligente Vernetzung“ der Verkehrsträger und üben Kritik am Berliner Diesel-Gipfel.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Wenn das keine Vision für das 21. Jahrhundert ist: „Ich weiß nicht, ob wir noch Staus haben werden“, wagte Jan Schönig einen optimistischen Blick in die Zukunft. Der Direktor für Urban Development und Smart Cities bei der Siemens AG hat klare Vorstellungen, wie dieser Zustand erreichbar wäre. Schönigs Stichwort beim Thema Mobilität der Zukunft lautet: „Digitalisierung“. Die Wahl eines Verkehrsmittels sei „oft eine Komfort-Entscheidung“. Deshalb müsse man es den Menschen durch Serviceangebote so einfach wie möglich machen, sich eine andere, umweltfreundlichere Kombination der Verkehrsmittel zu wählen – vom Rad über das Taxi und den Zug bis hin zum Carsharing. Es gehe um eine „ganzheitliche“ Sicht und um „integrierte Mobilität“.

 

Das entspricht auch den Vorstellungen von Frank Mentrup, dem Oberbürgermeister von Karlsruhe, der in der Abteilung „Dicke Luft – Klimaschutz in Städten und Kommunen“ beim Kongress Stadt der Zukunft für die Bodenhaftung zuständig war. Auch Mentrup ist von der Bedeutung der „intelligenten Verknüpfung“ der Verkehrsträger überzeugt. Einig waren sich die Diskutanten, die sich den Fragen von Lokalchef Holger Gayer stellten, auch in der Bedeutung des E-Autos. „Das ist nur ein Puzzleteil“, sagte Jan Schönig. Wenn jeder statt eines Autos mit Verbrennungsmotor ein E-Fahrzeug nutze, sei für die Lebensqualität der Städter nicht das gewonnen, „was man braucht“, sagte Frank Mentrup.

In Karlsruhe sind jetzt deutlich mehr Radler unterwegs

Jan Schönig, der am City Performance Tool von Siemens arbeitet, sieht im Energieverbrauch von Gebäuden einen entscheidenden Hebel für die Verbesserung des Stadtklimas. „40 Prozent des Energieverbrauchs von Städten geht auf das Kontor der Gebäude“, so Schönig. Mentrup verwies auf die praktischen Schwierigkeiten für Verbesserungen. Umfangreiche Dämmungen führten oft zu Kostenexplosionen bei Sanierungen, man müsse viele Hauseigentümer überzeugen. „Und die partiellen Verbesserungen werden durch das Wachstum der Städte wieder aufgefressen“, so Mentrup.

Der Karlsruher OB hatte aber auch Erfreuliches zu berichten. So hat die Stadt in eineinhalb Jahrzehnten den Radanteil am Verkehr von 16 auf 25 Prozent gesteigert. Jetzt gehe es darum, diesen hohen Anteil verträglicher zu lenken, etwa durch Radschnellwege. Dazu benötige man Verkehrsfläche des Autos, was politisch „nicht so einfach ist“. Kritisches äußerte der Karlsruher OB zu den Ergebnissen des Diesel-Gipfels in Berlin. Das „Notfallprogramm“ von einer Milliarde Euro komme einigen stark belasteten Städten zugute, das Land bringe es nicht voran. Die Schadstoffwerte werde das „nicht nachhaltig reduzieren“. Wenn es dennoch Fahrverbote gebe, „kommt man um die Blaue Plakette nicht rum“. Karlsruhe, das in der Vergangenheit das ÖPNV-Netz von 50 auf 700 Kilometer ausgeweitet und es geschafft habe, die Schadstoffgrenzwerte zu unterschreiten, gehe leer aus. Mentrup forderte eine Erhöhung der ÖPNV-Fördermittel. Nach dem Notfallprogramm des Bundes entfielen nur etwa 140Millionen Euro auf das Land, die Städte hätten aber Projekte zur Luftreinhaltung im Umfang von 680 Millionen Euro eingereicht.

Vor einer allzu optimistischen Einschätzung der künftigen Verkehrsentwicklung durch die Digitalisierung warnte aus den Reihen der Besucher Günter Sabow, der Leiter des Bereichs Mobilität bei der Initiative „Baden-Württemberg: Connected“. Angesichts von etwa 340 000 Fahrzeugen, die täglich in und um Stuttgart unterwegs seien – bei einem Nutzfahrzeugeanteil von etwa 40 Prozent, der laut Prognosen die nächsten Jahre um etwa 35 Prozent steigen werde – , „darf man den Menschen nichts vormachen“, sagte Sabow.

Verstopfte Straßen sind nicht nur in Stuttgart eine Belastung. Der Autoverkehr stößt an seine Grenzen. Der Unternehmer Alexander Zosel will das Problem in der Luft lösen - mit dem Fluggerät „Volocopter“, wie unser Video zeigt: