Die Schadstoffwerte liegen in Stuttgart weit über dem Limit. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) will vor dem Verwaltungsgericht deshalb ein komplettes Diesel-Fahrverbot durchpauken.

Stuttgart - Es könnte eng und stickig werden an diesem Mittwoch im Sitzungssaal 5 des Verwaltungsgerichts Stuttgart. Zwar liegt der Raum Nummer 5, in dem Platz für 100 Personen ist, nicht an dem mit Feinstaub über Gebühr belasteten Neckartor, doch dicke Luft ist programmiert, wenn die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und das Land Baden-Württemberg vor der 13. Kammer die Klingen kreuzen.

 

Die DUH bläst in der Landeshauptstadt zum finalen Angriff auf den Diesel. Der ist im Daimler-Stammland nicht nur als Jahreswagen Werksangehöriger besonders verbreitet. 107 204 Autofahrer aus Stuttgart schätzen den Selbstzünder, so die jüngsten Zulassungszahlen. Im Verbund mit einem Turbolader tritt ein Dieselmotor leistungsstark an – und schluckt vergleichsweise wenig. Das freut nicht nur den Schwaben. Die Debatte um den Diesel, ausgelöst durch den bei der Abgasreinigung mit höchst unsauberen Tricks arbeitenden VW-Konzern, hat dieser Antriebsvariante allen Unkenrufen zum Trotz in Deutschland und Europa nicht den Garaus gemacht. In den USA dagegen scheint das Kapitel Diesel abgeschlossen zu sein. Mercedes-Benz, nun auch in Deutschland mit Betrugsvorwürfen konfrontiert, hat den Selbstzünder in diesem Jahr aus dem Programm gestrichen.

Auch andere Städte halten die Werte nicht ein

107 204 Diesel in Stuttgart sind für die Deutsche Umwelthilfe und deren Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch ziemlich genau 107 204 zugelassene Diesel zu viel in Stuttgart. Nach dem Willen von Resch (57), der selbst vom Miniverbrauch seines Toyota Prius und der von den Japanern eingesetzten Hybridtechnik schwärmt, soll zwischen Wald und Reben gar keiner der früheren Schüttelhuber mehr fahren. Auch keiner, der die zurzeit gültige Euronorm 6 einhält, also laut Autobauern eine ingenieurtechnische Meisterleistung darstellt. Die Norm gilt nur auf dem Prüfstand, noch nicht auf der Straße. Aus Sicht der DUH liegt die Leistung der Autobauer allenfalls darin, die im realen Betrieb bedenklichen Stickoxidwerte bei der Zulassung auf dem Rollenprüfstand irgendwie ins Normfeld gedrückt zu haben.Nicht nur die aus dem Auspuff quellende Menge an Stickstoffdioxid ist gesetzlich begrenzt, sondern auch jene Menge, die Menschen übers Jahr mit Blick auf ihre Gesundheit zugemutet werden kann. Die Europäische Union hat die Grenze für das Jahresmittel bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gezogen. Am Neckartor wurden 2016 im Mittel 82, an der Hohenheimer Straße 76 Mikrogramm registriert, am Klett-Platz maß die Landesanstalt für Umwelt 58 Mikrogramm. Schnelle Besserung ist an keinem der Straßenzüge in Sicht, und hohe Werte gibt es nicht nur an diesen Dauermessstellen.

Stuttgart teilt das Stickstoffdioxid-Dilemma mit anderen deutschen Großstädten von Hamburg bis München. Viele denken, durch eine Klagewelle der DUH dazu gezwungen, inzwischen an Fahrverbote. Seinen bisher größten Triumph feierte der Umweltverband Mitte September 2016 in Düsseldorf. Die dortigen Verwaltungsrichter folgten den Argumenten der Umwelthilfe, die Diesel mit dem Einfahrtverbotszeichen (Verkehrszeichen 251) aus der Stadt halten will. Es müsste an allen Einfallstraßen stehen und mit dem Zusatz „Gilt für Diesel“ versehen sein. Das Urteil werde „richtungsweisend sein für die gesamte weitere Rechtsprechung“, freute sich der DUH-Anwalt Professor Remo Klinger über den Düsseldorfer Spruch.

Unklar ist, wohin die Reise geht

Wohin die Reise geht, ist inzwischen allerdings wieder völlig unklar. Das Düsseldorfer Urteil ging zum Bundesverwaltungsgericht zur Überprüfung. Weil der Vorsitzende Richter und der Berichterstatter wechselten, wird es dort noch länger liegen. Die neuen Robenträger müssen sich einlesen, vor 2018 wird es keine endgültige Entscheidung geben.

Auch in Stuttgart setzt Remo Klinger auf das Zeichen 251. Es stimme zwar, dass mit dem Schild nur streckenbezogene Verbote geregelt werden könnten. „Die Zahl der Strecken ist aber nicht begrenzt. Es können und müssen alle Straßen sein, an denen das Schild wegen der schlechten Luft erforderlich ist“, sagt Klinger. „Und wenn dies zu mehr Verkehr in anderen Straßen führt, in denen dann ebenfalls der Grenzwert überschritten wird, muss es dort auch aufgestellt werden.“Die im Stuttgarter Luftreinhalteplan beschriebenen Fahrverbote folgten genau dieser Argumentation. Bis zum vergangenen Donnerstag. Da kassierte Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) die Pläne für den Schilderwald. Das Bundesverkehrsministerium hatte wissen lassen, dass es diese Idee nicht mehr goutiert, sie sei rechtlich unzulässig. Hermann könne aber beim Umweltzonen-Schild die Grüne Plakette abkleben (das wäre dann ein totales Fahrverbot) und Ausnahmen festlegen, zum Beispiel für Pendler, Handwerker, Lieferanten oder Menschen, die zum Arzt müssen.

Kennt das Verwaltungsgericht einen Weg aus der Zwickmühle?

Dass die tägliche Fahrzeug-Flutwelle in Stuttgart so kaum gemindert werden kann, scheint einleuchtend. Für Hermann ist der Vorschlag ab-strus. Die Werte würden hoch bleiben. „Wir sind in der Zwickmühle, ich sehe nicht, was die Landesregierung noch tun kann“, sagt die stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Nicole Razavi. Schilder könne man erst aufstellen, wenn die Variante rechtssicher sei. Die Christdemokraten setzen auf technische Lösungen, auch auf Nachrüstung. Damit gehe man die Ursachen an, nicht die Symptome.

Kennt das Verwaltungsgericht einen Weg aus der Zwickmühle? Richter Wolfgang Kern, der am Mittwoch von fünf Kollegen flankiert wird, beschäftigt die Thematik seit 2009. Kern (60) zwang das Verkehrsministerium im April 2016 in einen Vergleich. Von 2018 an müssen am Neckartor bei Feinstaubalarm 20 Prozent weniger Fahrzeuge fahren. Das erzeugt aber Verlagerungseffekte mit höheren Werten in der Nähe. So ist auch diese Maßnahme unsicher. Sie unterscheide auch nicht zwischen Diesel, Benzinern oder E-Autos, merkt Razavi an.

Die drei Berufsrichter kommen übrigens mit Bus und Bahn zum Arbeitsplatz, lässt die Pressestelle des Gerichts wissen. Wer etwas gegen dicke Luft nicht nur im Verhandlungssaal hat, könnte ihrem Beispiel folgen.