Die EU-Kommission hat den Umweltsünder Deutschland erneut im Visier: Brüssel will noch vor der Sommerpause einen blauen Brief wegen zu hoher Stickoxidwerte in Stuttgart und vielen anderen Städten nach Berlin schicken.

Stuttgart - Die EU-Kommission hat den Umweltsünder Deutschland erneut im Visier: Brüssel will noch vor der Sommerpause einen blauen Brief wegen zu hoher Stickoxidwerte in Stuttgart und vielen anderen Städten nach Berlin schicken. Wenn die Werte nicht rasch deutlich sinken, droht eine Klage der EU vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Bereits im November hatte Brüssel eine letzte Warnung vor einer bevorstehenden EU-Klage wegen zu hoher Feinstaubwerte verschickt. „Wir nehmen die EU-Klage ernst und betrachten sie als eine umweltpolitische Herausforderung“, hatte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) damals erklärt.

 

Verkehrsminister plant Bundesratsinitiative

Auch wegen des angekündigten zweiten blauen Briefs in Sachen Stickoxide aus Brüssel plant Hermann jetzt bereits eine Bundesratsinitiative für eine blaue Plakette. Diese soll Autos kennzeichnen, die einen besonders geringen Stickoxidausstoß haben. „Beim Diesel erfüllen dann nur noch Wagen mit Euronorm 6 in Umweltzonen die Anforderungen“, so Hermann. „Stuttgart könnte dann bis 2020 zur blauen Zone werden.“ Im Berufsverkehr liegt der Anteil der Diesel laut Verkehrsministerium heute noch deutlich über 50 Prozent.

Weitere konkrete Maßnahmen gegen die zu hohen Feinstaub- und Stickoxidwerte sollen bis zum Frühjahr 2016 einen nachgebesserten Luftreinhalteplan für die Landeshauptstadt enthalten. Dann soll auch die seit Langem geplante Rußfilterpflicht für Baumaschinen in Gebieten mit Grenzwertüberschreitungen in Kraft treten.

Für den Verkehrsminister ist klar, dass von nun an konkrete Taten zur Schadstoffminimierung angesagt sind. „Die EU hat deutlich signalisiert, dass sie es in Sachen Luftreinhaltung ernst meint“, betont Hermann. Und bei einer Niederlage vor dem EuGH drohten sechsstellige Strafzahlungen – für jeden Tag mit zu dicker Luft. Das Land sei mit Feinstaub und Stickoxid doppelt betroffen. Es sei aber keineswegs so, dass in den vergangenen Jahren nichts wegen der dicken Luft passiert ist, betont Hermann. Tempolimits, Durchfahrverbote für Lastwagen und Nachrüst-Rußfilter reichten aber nicht aus. Beim Schadstoff Stickstoffdioxid liege der Jahresmittelwert in Stuttgart mehrmals mit 80 Mikrogramm je Kubikmeter Luft um das Doppelte über  dem Grenzwert. Ähnlich schwierige Luftverhältnisse an stark befahrenen Verkehrsachsen gebe es auch in Karlsruhe und Reutlingen.

Hermanns Ziel: Autoverkehr um 20 Prozent verringern

„Wenn der Individualverkehr weiterhin so stark bleibt, kann es kaum gelingen, die Grenzwerte bei Feinstaub und Stickoxid einzuhalten“, sagt Hermann. „Wir müssen den Autoverkehr in Stuttgart deshalb mindestens um 20 Prozent verringern.“ Dieses Ziel verfolge auch Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne). Das Land habe eine Studie über Umweltspuren in Auftrag gegeben, so Hermann. Diese Spuren sollten besonders umweltfreundlichen Fahrzeugen vorbehalten sein. Noch müsse aber geprüft werden, ob das Konzept im Großraum Stuttgart umsetzbar sei. „Wir haben hier schließlich keine Highways mit acht Spuren wie in Los Angeles“, so der Minister.

Das Verkehrsministerium hat bereits mit der Stadt und dem Regierungspräsidium mehrere Arbeitsgruppen mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten eingerichtet, um der EU möglichst rasch ein zusätzliches Maßnahmenkonzept bieten zu können. „Auch Fahrverbote, eine Citymaut und ein schärferes Durchfahrverbot für Lastwagen sind im Gespräch. Man greift praktisch nach jedem Strohhalm“, heißt es dazu in der Stuttgarter Verwaltung.

Auf jeden Fall gibt es enormen Zeitdruck, weil am 27. Juli ein Stickoxidgipfel mit Verkehrsminister Winfried Hermann, Oberbürgermeister Fritz Kuhn und Regierungspräsident Johannes Schmalzl (FDP) konkrete Schritte beschließen soll. Dann müsse gegenüber der EU schlüssig dargelegt werden, wann und mit welchen Maßnahmen der Stickoxidgrenzwert eingehalten werden könne. „Wir müssen handeln“, betont Hermann. „Es geht jetzt um konkrete Schritte, die etwas bringen.“