Dieselfahrer sollen noch bis bis 2020 nach Stuttgart fahren können – auch wenn ihr Auto die neueste Umweltnorm Euro 6 nicht einhält. Der Grund: das Land will das Urteil des Verwaltungsgerichts anfechten.

Stuttgart - Die Landesregierung will ein Fahrverbot für Stuttgart, das sich aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts ergibt, abwenden. Die 13. Kammer hatte angekündigt, ihre schriftliche Begründung in den nächsten Tagen vorzulegen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte auf ein komplettes und sofortiges Dieselfahrverbot geklagt und war in der mündlichen Verhandlung Mitte Juli von Richter Wolfgang Kern bestätigt worden.

 

In der grün-schwarzen Landesregierung sprechen sich die CDU und direkt mit der Materie befasste Experten der Grünen für eine Berufung gegen den Richterspruch aus. Dem Vernehmen nach empfiehlt auch der Anwalt des Landes diesen Verfahrensweg. „Ministerpräsident Winfried Kretschmann und die Landesregierung haben sich noch nicht entschieden“, sagt dagegen Regierungssprecher Rudi Hoogvliet. Käme es zur Berufung, würde das Urteil vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim inhaltlich überprüft werden. Dieses Verfahren würde wohl ein Jahr dauern. Der mögliche weitere Schritt zum Bundesverwaltungsgericht Leipzig noch ein Jahr, womit Fahrverbote bis 2020 verhindert würden.

Grünen-Fraktionschef Schwarz plädiert für Sprungrevision

Der Fraktionschef der Grünen, Andreas Schwarz, könnte sich eher eine Sprungrevision zur letzten Instanz nach Leipzig vorstellen: „Das hätte gegenüber der Berufung den Vorteil, dass sie deutlich schneller zu guter Luft und Rechtssicherheit führen würde.“ Dazu müsste Leipzig allerdings das Stuttgarter Urteil bestätigen. Vizeregierungschef Thomas Strobl (CDU) hält die Berufung für ratsam. „Inhaltliche Aspekte müssen bewertet werden, wir brauchen Zeit“, sagt auch die stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Nicole Razavi. Der Druck auf die Autoindustrie sei inzwischen hoch, diese müsse mit technischen Lösungen „zügig weiterkommen“.

Experten des Landes verweisen darauf, dass es mit dem Urteil zur Verdrängung von Verkehr und deswegen auch in Stuttgarter Nachbarstädten zu Überschreitungen des Stickoxid-Grenzwertes käme. Richter Kern hatte empfohlen, die Umweltzone Stuttgart und damit die Fahrverbote dann so zu weiten, bis dieser Effekt nicht mehr auftrete. Dazu wurden inzwischen Berechnungen in Auftrag gegeben. Mit der Ausweitung würde die Zahl betroffener Dieselbesitzer steigen. In der Region gibt es 216 000 Selbstzünder bis Euronorm 4, etwa 206 000 mit Euro 5 und 117 000 mit Euro 6. Viele werden von Pendlern genutzt. Busse und Bahnen könnten Zwangsumsteiger in großer Zahl nicht aufnehmen, so die Regierungsexperten. Sie befürchten ein Chaos.

Der Luftreinhalteplan könnte zweigeteilt werden

Trotz der Vorbehalte soll das Urteil des Verwaltungsgerichts in den neuen Luftreinhalteplan aufgenommen werden, allerdings mit dem Hinweis, dass es bis zur letzten Überprüfung gehemmt ist. Auch der Einsatz der Blauen Plakette, die vom Bund beschlossen werden müsste und differenzierte Fahrverbote ermöglichen würde, bleibt als mögliche Maßnahme ab 2020 im Plan. Auch massenweise Streckensperrungen, die die Regierung geplant, in der Verhandlung aber zurückgenommen hatte, könnten nun doch noch aufgeführt werden, eben auch mit dem Hinweis auf die fehlende rechtliche Klärung. Da der Luftreinhalteplan eine Masse an nicht oder kaum umstrittenen Maßnahmen vorsieht, wird dem Vernehmen nach eine Zweiteilung erwogen. Der Teil mit Änderungen müsste neu ausgelegt werden.

Die DUH verfolgt die Regungen der Landesregierung. Eine Berufung, sagt deren Anwalt Remo Klinger, „wäre eine taktische und industriepolitische Entscheidung und ein Skandal, denn die Regierung zeigt damit, dass ihr der Gesundheitsschutz nichts wert ist“. Die DUH will weiter Druck machen und wenn möglich eine einstweilige Anordnung gegen das Land erlassen. Sie könnte greifen, wenn das Bundesverwaltungsgericht ein zur Überprüfung anstehendes Fahrverbots-Urteil aus Düsseldorf bestätigen würde. Laut Klinger soll die Entscheidung bis Ende März 2018 fallen. Werde die Blaue Plakette tatsächlich eingeführt, werde die DUH nicht bis 2020 warten, sondern den schnellen Einsatz erstreiten.

Die Stickoxidwerte sind auch 2017 zu hoch

Die Stickoxidwerte in Stuttgart bleiben auch 2017 zu hoch. Der Bund für Umwelt und Naturschutz errechnete bis 28. August einen Mittelwert von 77 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Im Vorjahr waren es zur gleichen Zeit 82, erlaubt sind 40 Mikrogramm. Ab dem 16. Oktober will die Stadt wenn nötig wieder Feinstaubalarm ausrufen. Der umstrittene Begriff und der Aufruf zum freiwilligen Umstieg bleibe, der Betrieb von Komfort-Kaminen sei untersagt.