Die Europäische Kommission kritisiert die Luftreinhaltepolitik der Bundesrepublik als unzureichend. Sie plädiert für Zufahrtsbeschränkungen und die Blaue Plakette.

Stuttgart. - Das Generalsekretariat der EU-Kommission hat die Bundesrepublik Deutschland erneut scharf für die fortgesetzte Überschreitung von Stickoxid-Grenzwerten in vielen deutschen Städten gerügt. In einem 43 Seiten starken Papier, das dieser Zeitung vorliegt, fordert das Sekretariat die Bundesregierung auf, wirksame Maßnahmen zum Gesundheitsschutz zu ergreifen, und zwar schnell. Die EU kann wegen der fortwährenden Überschreitung eine Klage einreichen.

 

„Solche spezifischen Maßnahmen sollten sich auf die Hauptquelle von Stickoxid-Emissionen konzentrieren und daher entweder auf eine weitere Verringerung des Verkehrsaufkommens im Allgemeinen abzielen oder Zugangsbeschränkungen für Fahrzeuge mit hohen Stickoxid-Emissionen, also vorrangig Dieselfahrzeuge, beinhalten“, heißt es auf Seite 25 des Schreibens. Die Notwendigkeit, solche Maßnahmen ernsthaft zu prüfen und zu ergreifen, sei von deutschen Verwaltungsgerichten festgestellt worden. Luftreinhaltepläne könnten auch „gezielte Maßnahmen zum Schutz empfindlicher Bevölkerungsgruppen, einschließlich Maßnahmen zum Schutz von Kindern, vorsehen“, schreibt die EU. Gerügt wird das Fehlen eines umfassenden Gesamtkonzepts. Die EU-Richtlinie zur Luftqualität sei bereits seit dem 21. Mai 2008 in Kraft. Es seien weder neue Grenzwerte festgesetzt noch sei der Zeitpunkt für die Anwendung geändert worden. In 29 Gebieten, darunter Stuttgart, sei der Jahresgrenzwert, in dreien, darunter der Regierungsbezirk Stuttgart, der Stundengrenzwert überschritten worden. Die Verzögerung von zehn Jahren sei „ein gewichtiges Indiz dafür, dass Deutschland keine geeigneten Maßnahmen getroffen hatte“.

Diesel aus den Städten halten

Dass die Stickoxid-Emissionen von Dieselfahrzeugen mit Euro 5 und 6 im Realbetrieb deutlich höher als auf dem Prüfstand seien, sei seit mehreren Jahren bekannt. Deutschland könne das Aufschieben von wirksamen Maßnahmen nicht rechtfertigen. Dieselfahrzeuge unter der Euro-6-Norm könnten mit Zugangsbeschränkungen aus den Städten gehalten werden. Die Landesregierung hat auf die erwartete deutliche Rüge der EU mit der Ankündigung reagiert, von 2018 an für den Stuttgarter Talkessel und Teile von Feuerbach und Zuffenhausen ein Fahrverbot für Diesel unter Euro 6 bei Feinstaubalarm auszusprechen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) spricht von einer „Ohrfeige der EU-Kommission“ für Baden-Württemberg. „Wir erwarten von der Regierung nun ein forciertes Handeln“, sagt die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender.