„Viagra für die Frau“ ist umstritten. Das Mittel birgt viele Risiken. Kritiker sprechen von einer intensiven Lobby-Kampagne des Herstellers, Mediziner zweifeln die Wirksamkeit an und warnen vor Risiken und Nebenwirkungen.

Stuttgart - Kritiker sprechen von einer intensiven Lobby-Kampagne des Herstellers, Mediziner zweifeln die Wirksamkeit an und warnen vor Risiken und Nebenwirkungen: Seit vergangener Woche ist in den USA, wie berichtet, eine Pille für Frauen zugelassen, die Lust auf Sex machen soll. Allerdings gibt es Flibanserin, das im Herbst unter dem Namen Addyi auf den amerikanischen Markt kommt, nur auf Rezept. Frauen, die vor den Wechseljahren unter einer einem Mangel an sexuellem Verlangen leiden, sollen die neue Pille von ihrem Arzt verschrieben bekommen. Es müsse ausgeschlossen sein, so betont die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA, dass sich die Lustlosigkeit etwa durch partnerschaftliche Differenzen, beruflichen Stress, Schwangerschaft oder andere private Gründe eingeschlichen hat.

 

Der Mangel an sexuellem Verlangen in jungen Jahren wird unter dem Begriff HSDD (Hypoactive Sexual Desire Disorder) zusammengefasst und als Krankheit definiert. Doch gerade dieses Leiden wird in internationalen Fachartikeln als Beispiel einer der sogenannten erfundenen Krankheiten genannt – einer Erkrankung also, die neu beschrieben und definiert wird und für die es dann auch schnell neue Medikamente geben wird. Auch deutsche Sexualforscher sehen mangelndes Lustempfinden einer Frau nicht als Krankheit, die mit Medikamenten behandelt werden müsste. Umstritten ist jedoch nicht nur die Definition der Lustlosigkeit als Erkrankung, kritisiert wird auch die jahrelange Geschichte der Zulassung der pinkfarbenen Pille.

Umstritten: gilt Lustlosigkeit als Erkrankung?

Flibanserin wurde zunächst als Mittel gegen Depressionen von Boehringer Ingelheim entwickelt. Doch die antidepressive Wirkung bei sogenannten Major-Depressionen trat nicht ein, dafür aber ein interessanter Nebeneffekt: Die an der Studie teilnehmenden depressiven Frauen, die aufgrund ihrer Erkrankung kaum mehr Lust auf Sex hatten, stellten fest, dass die Lust erhalten blieb. Der Pharmakonzern testete das Mittel bei Frauen, die unter sexuellem Desinteresse litten. Die Lust am Sex wird dabei mit standardisierten Fragebögen ermittelt, den die Frauen in einer Art elektronischem Tagebuch ausfüllen können. Prinzipiell geht es darum, ob sie befriedigenden Sex erlebten und wie oft sie Lust auf diesen verspürten. Die Fragen beziehen sich dabei sowohl auf psychische Faktoren wie etwa das Lustempfinden grundsätzlich oder die sexuelle Erregung und Zufriedenheit. Ebenso werden körperliche Aspekte abgefragt, wie etwa die sogenannte Lubrikation, darunter versteht man das Anschwellen und Feuchtwerden der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane. Und wichtig war natürlich die Frage nach der Häufigkeit.

Allerdings verliefen die Studien zunächst enttäuschend: Flibanserin war kaum mehr luststeigernd als ein Scheinmedikament. Als Boehringer Ingelheim die Ergebnisse auf einer Tagung der FDA im Jahr 2010 präsentierte, konnten die Studien die Gutachter nicht überzeugen: Ein Beratergremium hatte der Zulassungsbehörde mit elf gegen null Stimmen von einer Zulassung abgeraten. Der deutsche Pharmakonzern verkaufte die Rechte an dem Wirkstoff an Sprout Pharmaceuticals in Raleigh, North Carolina. Sprout war eigens zum Zweck der Vermarktung gegründet worden. Der neue Hersteller führte eine weitere Studie durch, scheiterte mit dieser jedoch 2013 erneut bei der FDA – obwohl die Ergebnisse sich etwas verbessert hatten. Im jüngsten erfolgreichen Antrag hatten die Hersteller Glück bei der FDA: Die Studien hätten gezeigt, dass die Frauen durch Flibanserin mehr Lust verspürten, mehr Sex hatten und weniger unter Lustlosigkeit litten – statistisch haltbar, wenn auch mit wenig Abstand zur Placebogruppe. Das genügte den Gutachtern der FDA (18 pro-Stimmen, sechs Gegenstimmen). Unmittelbar nach der Zulassung wurde Sprout vergangene Woche, wie berichtet, vom kanadischen Pharmakonzern Valeant übernommen.

Dieses Mal waren die Gutachter überzeugt

Die Gutachter der FDA haben sich mit der Zulassungsempfehlung über die Argumente hinweggesetzt, mit der in den Jahren zuvor die Zulassung nicht empfohlen wurde: Als psychoaktive Substanz hat Flibanserin viele Nebenwirkungen. Die Substanz wirkt auf die Botenstoffe im Gehirn: Es kommt zu einer höheren Freisetzung von Dopamin und Noradrenalin. Das kann angstlösend, motivierend und luststeigernd wirken. Vermindert freigesetzt wird hingegen Serotonin, das die Sexualität eher hemmt. So zumindest wird die Wirkung theoretisch beschreiben – endgültig nachgewiesen ist dies nicht. Zudem klagen die Frauen über Nebenwirkungen: Schwindel, Übelkeit, Kreislaufprobleme, Angstzustände, Bauchschmerzen und Mundtrockenheit waren nur einige davon.

Schwierig ist zudem die Einnahme der Pille: Im Gegensatz zu Viagra, die der Mann nur einmal vor dem Sex schluckt, muss die Frau das Medikament täglich nehmen. Flibanserin wird, wie viele alle anderen Medikamente auch, über ein bestimmtes Enzym-System durch die Leber abgebaut. Wenn eine Frau andere Medikamente nimmt, die über dieses Enzymsystem abgebaut werden, so kann es sehr schnell zu einer Überdosierung kommen. Über dieses Enzymsystem werden etwa die meisten der Anti-Babypillen abgebaut. Außerdem sollte man während der Einnahme der Lustpille keinen Alkohol trinken. Denn das könnte, so ist im Beipackzettel später zu lesen, zu gefährlichen Blutdruckabfällen führen. Betroffene könnten gar ohnmächtig werden – und dies alles vor dem Sex.

Neue Aufgaben für alte Pillen

Geschichte
Medikamente erleben mitunter einen zweiten Frühling: Nicht nur das Antidepressivum Flibanserin, das im Herbst in den USA in speziellen Apotheken verkauft wird, hat ein neues Wirkspektrum als rosa Lustpille für die Frau bekommen. Auch das Potenzmittel Viagra kommt aus einer ganz anderen medizinischen Ecke: Das Molekül Sildenafil wurde zuerst als Mittel gegen Bluthochdruck untersucht und wird zudem auch gegen die seltene Krankheit Lungenhochdruck eingesetzt.

Wirkung
Viagra wirkt, indem es in das komplexe Geschehen der Durchblutung der Schwellkörper beim Mann eingreift und ihm zu einer Erektion verhilft. Die blaue Pille soll eine halbe Stunde vor dem Sex eingenommen werden und wirkt nur körperlich