Schon im Vorfeld gab es kontoverse Diskussionen um das Luxus-Dinner in der Johanneskirche. Auch das erste Test-Abendmahl hat daran nichts geändert. Die Opulenz löst gemischte Gefühle aus.

Stuttgart - So sahen die Gemeindeglieder ihre Johanneskirche noch nie. Durch ein Kerzenmeer illuminiert, mit Pflanzen geschmückt, die Orgel auf der Empore samt deren Pfeifen in rotes Licht getaucht. „Toll“, sagt Timo Hildebrand, der frühere VfB-Torwart und Mitgesellschafter von Tailormade. Also jenem Unternehmens, das in Kirche am Feuersee die Luxus-Dinner veranstaltet. Durch die Überlassung des Kirchenraums will die finanziell gebeutelte Gemeinde eine 33 000 Euro teure Mikrofonanlage finanzieren. Sogar Stadtdekan Sören Schwesig und Prälatin Gabriele Arnold haben laut Pfarrer Heinrich Schmid ihren Segen zu den Veranstaltungen im Januar gegeben.

 

Doch bevor zwischen Januar und März mit dem Format „Heaven Seven Eleven“ Geld verdient wird, ist Tailormade in Vorleistung gegangen. 220 geladene Gäste durften Testessen und das erleben, was der Veranstalter verspricht: „In dem altehrwürdigen Gotteshaus Johanneskirche entsteht ein neuer Ort der Begegnung. Ein Ort, an dem Menschen Kulinarik, Kultur und Keynotes in einem inspirierenden Ambiente genießen können, in dem Brücken gebaut werden und wunderbare Dinge geschehen können. Alles im Rahmen eines noch nie dagewesenen Pop-up-Event-Konzepts.“

Für die musikalische Vorspeise sorgt der Kantor

Am Testabend sieht das Ganze so aus: Etwa 30 Servicekräfte des Caterers Rauschenberg schweben auf Teppichen entlang der festlich gedeckten Tafeln und lesen den Gästen Wünsche von den Lippen ab: Kalbstatar, Krustentierschaum, rosa gebratenes Roastbeef und Honig Ganache zum Abschluss. Das musikalische hors-d’œuvre kommt vom Kantor der Gemeinde. Georg Ammon spielt Bach sowie Astor Piazzollas Melancholie-Klassiker Oblivion und ist „gespannt darauf, was am Abend passiert“.

Das Festmahl soll für sich sprechen. „Wir haben es bewusst reduziert gehalten“, sagt Tailormade-Chef Sascha Penna, „wir haben auf christliche Dekoration verzichtet.“ Man nutze eben einen Rahmen, der es nicht verdient hätte, die meiste Zeit in der Woche leer zu stehen. An diesem Abend ist die Kirche voll. Voll mit handverlesenen Gästen. Sie alle sind wie verzaubert. Entzückt und überrascht. Immer wieder hört man den Satz: „So schön kann Kirche sein.“ So denken auch die prominenten Gäste wie VfB-Vorstand Stefan Heim, Promifotograf Christoph Sage oder Wittwer-Geschäftsführer Rainer Bartle über dieses exklusive Abendmahl.

Gesamtkirchengemeinderat bleibt skeptisch

Nur einer ist skeptisch. Christian Schwinge, der Vorsitzende des Gesamtkirchengemeinderates in Stuttgart. Der einzig offizielle Kirchenvertreter hat gemischte Gefühle. Einerseits ist er ebenso übermannt von der Opulenz des Kirchenraums, andererseits fragt er sich: „Muss das sein?“ Seine Gedanken teilt er mit Christoph Sage und Rainer Bartle. Beide sind einer Meinung: „Wie kann man gegen so eine tolle Sache sein?“ Zumal sie noch Geld einbringe. Schwinge schüttelt den Kopf: „Wenn es nur ums Geld verdienen ginge, könnten wir die Kirchenfassaden mit Leuchtreklame anscheinen lassen.“ Nein, Geld darf aus Sicht von Schwinge kein Argument für die Nutzung eines Kirchenraums sein.

Bartle, der wie Sage eher merkantil denkt, lenkt dann doch ein: „Sicher gibt es Grenzen der Nutzung. Aber die sehe ich hier nicht überschritten. Zudem hat doch immer Qualität, wenn Menschen ins Gespräch kommen.“ Ein guter Gedanke, findet Christian Schwinge, meint dann aber: „Wenn es Gespräche über Kirche wären, fände ich das noch passender.“

Ein Pfarrer, der nicht genannt werden will, hält von diesen ganzen „bürgerlichen“ Diskussionen nichts: „Nach evangelischem Verständnis gibt es keine heiligen Orte. Im Prinzip kann man an jedem x-beliebigen Ort Gottesdienst feiern“, sagt er und stellt fest: „Mein Hauptargument so etwas wie dieses Dinner in der Kirche zu veranstalten lautet: Es hilft Schwellenangst überwinden. An jedem Ort, an dem man einmal war, geht man auch leichter wieder hin.“

Viele der 220 Gäste des Abends bestätigen das. Sie wollen wieder kommen. Fragt sich nur: zu welchem Anlass? Zu einem Gottesdienst oder einem Luxusdinner?