Martha Bajass schmiedet Lyrik mit Lokalbezug, Doris Schmid liest die Gedichte – die sich zum Beispiel um den Fernsehturm drehen – vor. Eigentlich sind die beiden Frauen ein und dieselbe. Die Degerlocherin hat sich ein Alter Ego geschaffen.

Degerloch - Wenn die zierliche Frau ihre Maske aufsetzt, wird sie zu einer anderen Person: zur Dichterin Martha Bajass. Die goldene Farbe der Maske schimmert, als ein Sonnenstrahl durch die Blätter gelangt. Ein Räuspern, dann schlägt sie ihren 2013 erschienenen Gedichtband „Degerlocher Taubenbad“ auf, doch Martha Bajass liest nicht gerne selbst. „Sie ist schüchtern, deswegen muss Doris Schmid ihre Gedichte vortragen.“

 

Bajass ist eine Narrenfigur in der Fastnacht

Ohne Maske ist Martha Bajass Doris Schmid aus Degerloch. Martha Bajass ist ihr Künstlername. „Ich habe etwas gesucht, das ins Schwabenländle passt“, sagt sie. Bajass ist eine Narrenfigur in der schwäbisch-alemannischen Fastnacht – daher auch die Maske. Der Vorname erinnert an ihre längst verstorbene Lieblingstante.

In Doris Schmids Familie hatte Lyrik immer schon einen großen Stellenwert. Vor allem durch ihren Vater. Er schrieb zwar nicht, doch er rezitierte mit Leidenschaft. „Zum Abendessen gab es immer Gedichte“, sagt die 56-Jährige und lächelt. So begann sie als Kind, selbst Gedichte zu schreiben. Ihre Themen: kleine und große Ereignisse, die sie in Verse verpackte. Aus der Zeit hat sie allerdings nicht mehr viel. Das meiste hat Doris Schmid verschenkt oder weggeschmissen. „Erst heute finde ich das schade“, sagt sie.

Viele Texte haben einen Lokalbezug

Dass Doris Schmid einmal ein eigenes Buch herausbringen würde, hätte sie nicht gedacht. Eigentlich wollte sie nur einem Freund helfen, dessen Gedichte für Interessenten drucken zu lassen. Doch selbst etwas veröffentlichen? „Ich musste ziemlich mit der Nase darauf gestoßen werden“, sagte sie. Viele ihrer lyrischen Texte haben einen Lokalbezug, denn die Dichterin ist fasziniert von Degerloch. Ihr „Murmelelf“ handelt von Stuttgart 21, der „Mäuseausflug“ erzählt von der Schließung des Fernsehturms, und „Eisprinzessin“ hat das Eissportzentrum auf der Waldau zum Thema. Das sind nur drei der 24 lyrischen Texte aus dem „Degerlocher Taubenbad“.

Doris Schmid stammt gar nicht aus Stuttgart, sondern aus dem deutschen Norden. „Die Liebe hat mich hergebracht“, sagt sie, beziehungsweise hat sie hier gehalten. Als sie in Degerloch eine Stelle als Sekretärin in einer Anwaltskanzlei antrat, lernte sie ihren Mann kennen. Seitdem kam es für die Dichterin nicht mehr in Frage, die Stadt wieder zu verlassen. „Degerloch ist auch einfach ein schöner Ort, hier gibt es noch diese Ortsverbundenheit“, sagt Schmid. Wenn Feste im Stadtteil gefeiert werden oder Veranstaltungen einen besonderen Anlass haben, werde sie immer wieder gefragt, ob sie ein Gedicht darüber schreiben würde. „Man kann mich immer gerne fragen, es macht mir einfach Spaß“, sagt sie.

Dichten in der ruhigen Dachstube

Wenn Doris Schmid etwas Neues erschafft, dann meist in ihrer ruhigen Dachstube „mit den vielen alten Möbeln“. Sie brauche die Stille, um aus einer Idee Verse zu schmieden. Das Ergebnis kennt sie nicht im Vorhinein. Doris Schmid überlegt kurz und hält es dann wie ihr Vater. Sie rezitiert den österreichischen Philosophen und Schreiber Karl Kraus: „Die Sprache tastet wie die Liebe im Dunkel der Welt einem verlorenen Urbild nach. Man macht nicht, man ahnt ein Gedicht.“

Die Gäste können sich bei Doris Schmids Lesung einen Vorgeschmack auf das ganze Werk sichern. Am morgigen Donnerstag, 23. Oktober, von 15 bis 16.30 Uhr liest sie bei der Teestunde des Degerlocher Frauenkreises im Helene-Pfleiderer Haus, Große Falterstraße 6. Begleitet wird sie musikalisch von Alice Chinaglia.