Mit Tränen der Rührung verabschiedet sich der Regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit, von seiner Partei und badet im Jubel der Genossen. Seinen Nachfolger Michael Müller inthronisieren die Delegierten per Akklamation.

Berlin - In manchen Momenten erscheint die Demokratie so glattgeschliffen, dass es gut ist, wenn einer sagt: „Wir sind nicht in einer Monarchie.“ Klaus Wowereit spricht so – und das, wo er am Samstag von seiner SPD doch gefeiert wird wie ein sehr großer, freundlicher König. Immer wieder stehen die Genossen von ihren Stühlen auf und applaudieren – insgesamt werden es mehr als sieben Minuten Applaus für den scheidenden Regierenden Bürgermeister sein.

 

Noch ist das hier nicht der Abschied vom Amt, sondern nur ein Parteitag – wenn auch ein historischer: er findet statt am Mauerfall-Jubiläumswochenende, da sind hier sowieso alle emotional am Anschlag. Aber vor allem geht es für die Sozialdemokraten hier um Abschied und Neubeginn. Nach 13 Jahren wird Wowereit demnächst das Rote Rathaus räumen, freiwillig, aber auch, um dem wachsenden Druck aus den eigenen Reihen zuvorzukommen. Darüber redet natürlich heute niemand, nicht über fallende Beliebtheitswerte, über die Riesenpleite am BER und über den lang schwelenden Machtkampf. Der allerdings ist fürs erste auch ausgetragen, seit die SPD den Nachfolger in einem Mitgliedervotum bestimmt hat. Unerwartet schnell und klar setzte sich da Michael Müller durch, der Stadtentwicklungssenator, abgeschlagen landeten Parteichef Jan Stöß und Fraktionschef Raed Saleh.

Der Parteitag badet in Gefühlen

Die sitzen nun äußerlich vereint auf dem Podium, während der Parteitag in Gefühlen badet. Man hat einen Abschiedsfilm für „den Klaus“ vorbereitet, sieht Fotos aus der Arbeiterkinderjugend in Berlin-Lichtenrade und ikonographisch geschönte Bilder eines Regierenden in schwarz-weiß. Dann spricht Wowereit, und wie immer setzt er seine leichte Berliner Fischweib-Schnoddrigkeit ein, wenn er nicht heulen will. Es habe Zeiten gegeben, sagt er kieksend, da sei er nicht gerne zum Parteitag gekommen, und erinnert an die harten Sträuße, die er mit den Genossen ausgefochten hat. Aber dann ist Schluss mit der Coolness. Die Stimme wackelt, als Wowereit über den Mauerfall redet und über die letzten 25 Jahre und dann nahtlos über seine politische Arbeit. „Wir waren so glücklich und wir sind heute so glücklich und das macht mich stolz auf ganz Berlin und auf die Menschen.“

Da zieht einer schon mal Bilanz, erinnert an 2001, als seine SPD auf der Höhe des Bankenskandals die große Koalition mit der CDU platzen ließ, er vom Sessel des Fraktionschefs ins Amt kam – ein Lokalpolitiker, der durch den Satz „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“ schlagartig bundesweit bekannt wurde. Und er dann mit Schwung die politischen Grenzen ausweitete. „Kübel von Mist“ seien über ihn ausgegossen worden, als er die rot-rote Koalition in der ehemaligen Frontstadt durchsetzte, furchtbare Debatten habe es gegeben, wegen es Sparkurses und auch wegen dieses „Arm, aber Sexy“-Politikansatzes, in dem Glamour und Partyfreudigkeit auf das Alleinstellungsmerkmal der Stadt als Kreativ- und Kunstmetropole hinweisen sollten. „Dagegen waren die Flughafendebatten harmlos.“

Müller will "eine sichere Heimat" bieten

Wowereit übergibt an den Nachfolger – nicht ohne den beiden Verlierern des Basisentscheids noch schnell ein bisschen die Köpfe zu scheren: Das Votum sei eine Rückenstärkung für Michael Müller, der nun in die politische Arena treten könne. Das tut dieser und hält eine Rede, die dem Alten Respekt zollt und gleichzeitig das zentrale Ziel umreißt, das er für diese Stadt hat: „Wir müssen den Berlinern eine sichere Heimat bieten in diesem Wandel.“ Müller redet über die Veränderungen, über die Ängste, die das auslöse, über große Baustellen wie den Flughafen, die Wohnungsnot und die Arbeitslosigkeit und über sein Verständnis vom Amt des Regierenden: „ Er muss in jedem Quartier jede Parkbank kennen und zugleich auf der Bühne der Weltpolitik sein.“ Die Bürger, so glaubt Müller, vermissten die Sicherheit, dass die Politik ihnen richtig zuhöre.

Diese Rede ist ein gelungener Einstieg in dieser seltsamen Übergangsphase, in der sich die Berliner Politik im Moment befindet. Der eine hat die Macht nicht mehr ganz, der andere noch nicht. Bis zur Amtsübernahme am 11. Dezember wird nichts entschieden, gleichzeitig wird will spekuliert über die Unbekannten im Kabinett, die noch für die Schlüsselressorts Finanzen und Stadtentwicklung gesucht werden.

Klaus Wowereit allerdings sieht an diesem Tag aus wie jemand, den solche Dinge nicht interessieren – nicht mehr. Verabschieden, so sagt der Mann, der die Kunst liebt, wolle er sich mit drei Liedzeilen: „Time to say goodbye. I did it my way. Und mit Edith Piaf: Ich bereue nichts.“