Sie hat keine Angst vor Patriarchen, Spießern, Sittenwächtern: Madonna macht mit 53 Jahren das, was sie immer getan hat. Sie provoziert – mal mit politischen Aktionen, mal mit einer entblößten Brust.

Stuttgart - Kaum ein Promi kennt sich besser mit Skandalen aus als Madonna. Seit Beginn ihrer Karriere provoziert sie in regelmäßigen Abständen die Öffentlichkeit und ruft vorhersehbare Aufregung hervor. 1985 trat sie mit Nacktfotos im „Playboy“ in Erscheinung, ihr Buch „SEX“ (1992) wartete mit einer Fülle freizügiger Arrangements auf, und schließlich gab es den Zungenkuss zwischen ihr und Britney Spears bei den MTV Music Awards 2003.

 

Der wirkte schon etwas gewollt, zumindest in den Augen der Öffentlichkeit. Schließlich war Madonna damals bereits 44 – ganz schön alt für einen weiblichen Popstar. Manch einer unterstellte ihr die Sorge um ihren Thron als Motiv. Klarer Fall für die Beobachter: mit dieser Geste stellte Madonna ein für alle Mal klar, wer die Herrin im Haus des Pop ist. Schließlich waren es Britney Spears’ Glanzzeiten, die Madonna-Nachfolge war ihr nur allzu fix auf den Leib geschrieben.

Diese Frau wird noch lange auf dem Popthron sitzen

Doch manchmal schreibt das Leben überraschendere Geschichten, als es die Medien tun. Heute – fast zehn Jahre später – ist es Lady Gaga, die als Nachfolgerin Madonnas gehandelt wird. Aber auch sie wird den Thron der Popkönigin in absehbarer Zeit nicht besteigen können. Denn Madonna hört einfach nicht auf. Nicht mit der Musik, nicht mit den Filmen, nicht mit ihrem Körperkult, nicht mit den Skandalen. Sie macht auch noch mit 53 Jahren das, was sie gut kann: ihren Job als Popstar. Unlängst hatte sie offenbar wieder einmal Lust zu provozieren und entblößte bei einem Konzert in Istanbul ihre rechte Brust. Gewertet wurde diese Aktion in weiten Teilen der Öffentlichkeit als politisches Statement der Solidarität mit den türkischen Frauen, die gegen ein Abtreibungsverbot kämpfen.

Doch das vermeintlich hehre Anliegen konnte einen sich anschließend ergießenden Shitstorm im Internet nicht aufhalten. Unerhört! Pfui Teufel! Die alte Frau soll weggehen und endlich in Würde altern! Ungefähr so kann man die weltweiten Reaktionen auf „Nipplegate II“ zusammenfassen. „Warum zeigt sie uns immer ihren Busen? Nein, es ist nicht sexy, wenn eine Frau, die meine Großmutter sein könnte, ihre Brustwarze herumwippen lässt“, war einer der eher harmlosen Kommentare.

Der Busen-Blitzer ist natürlich ein gefundenes Fressen

Der Busen-Blitzer war natürlich auch ein gefundenes Fressen für Showmaster und Comedians: „Hey Madonna, dein Nippel hat gerade angerufen, um dir zu sagen, dass nicht mehr 1986 ist“, fand man beispielsweise witzig.

Es bedurfte nicht dieses Vorfalls, um Madonna-Kritiker auf den Plan zu rufen. Auch Beth Ditto war sich nicht zu schade, ein wenig Gift zu verspritzen. Die Frontfrau der Band Gossip, die viele ihrer Bewunderer ebenfalls auf dem Weg zur feministischen Ikone sehen, lästerte: „Eine 50-Jährige, die auf 20 macht: das ist doch einfach nur peinlich. Ich kann mit ihr nichts anfangen.“

Offenkundig bringt Madonna immer noch die ideologischen Verhältnisse zum Tanzen. Die Kolumnistin der britischen „Daily Mail“, Liz Jones, eine erklärte Gegnerin von Madonnas Körperkult, entwickelte nach der Aktion in Istanbul die These, Madonna setze mit ihrer wie immer penetrant präsentierten Power-Erotik normal alternde Frauen unnötig unter Druck. Madonnas „Nipplegate“ sei ein Akt der Verzweiflung und ende in der Lächerlichkeit. Der Kolumnist der türkischen Zeitung „Hürriyet“ hingegen wertet Madonnas Entblößung als wichtiges Zeichen für die modernen türkischen Frauen.

Tatsächlich macht Madonna, was sie immer gemacht hat: sie nimmt die chauvinistische Redensart von den „Waffen einer Frau“ wörtlich. Ihr Körper war nie nur Projektionsfläche, sondern immer zugleich ein Instrument der Attacke, ein Angriff auf Erwartungen, wie sexy, wie attraktiv, wie aggressiv eine Frau sein soll oder darf.

Keine Angst vor Patriarchen, Spießern, Sittenwächtern

Sie selbst schweigt derweil. Beobachtet vermutlich genüsslich, wie sich alle Welt den Kopf darüber zerbricht, ob der „Busen-Blitzer“ nun ein politisches Statement sein sollte oder ob sie – Achtung, bahnbrechende Mutmaßung – einfach mal wieder ein bisschen PR brauchte. Und wenn – was wäre daran verwerflich?

Mal eine ganz verwegene Frage: warum sollten ältere Stars im Musikbusiness plötzlich alle zurückgelehnt, ruhig und besonnen werden, nur weil sie langsam ins offizielle Rentenalter kommen? Und warum sollte das besonders für Frauen gelten? Man muss Madonnas Jugend- und Schönheitswahn nicht gut finden. Aber man wird doch wohl bitteschön noch faltig und verlebt oder eben glatt und geliftet durchs Leben gehen können, ohne sich sofort einfältigen Diffamierungen ausgesetzt sehen zu müssen. Das einzig Gute daran: Madonna selbst dürfte das vollkommen am knochigen Hintern vorbeigehen.

Die Königin des Pop hat für derlei Boshaftigkeiten eine klare Botschaft parat: „No fear“. „Keine Angst“ stand auf ihrem Rücken beim Konzert in Istanbul. Keine Angst vor Patriarchen, Spießern, Sittenwächtern.