Spanien erklärt die Tauromaquia zum „historischen und kulturellen Erbe“. Der rituelle Tod des Stiers erhitzt Gegner und Befürworter. Dabei gehen immer weniger Leute in die Arena.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Madrid - Solche Bilder muss man sehen wollen. An diesem Samstag veröffentlichte das spanische Netzportal aplausos.es das Foto eines von oben bis unten aufgeschlitzten und wieder zusammengenähten Arms. Er gehört dem Matador David Galván. Der erholt sich gerade in einem Krankenhaus von seinen schweren Verletzungen, die ihm vor drei Wochen ein Stier in der Arena im andalusischen Jaén beibrachte. Galván hatte sich in den Sand gekniet, um den letzten Stier an diesem Nachmittag zu empfangen. Das Tier rannte auf ihn zu, rammte ihm sein Horn in den rechten Arm und schleppte ihn, am Horn hängend, über den Platz. „Es waren Sekunden“, schrieb der Berichterstatter von El País, „in denen die Tragödie über den wenig besuchten Rängen der Arena schwebte.“

 

Szenen wie die in Jaén zeigen, worum es bei der Tauromaquia geht: Ein Torero begibt sich in Gefahr – und kommt dabei gewöhnlich nicht um. Tauromaquia wird ins Deutsche mit „Stierkampfkunst“ übersetzt. Ein irreführender Begriff: der Torero kämpft nicht mit dem Stier, er tötet ihn nach einem festgelegten Ritual. Dabei setzt er sein eigenes Leben aufs Spiel, was dem Schauspiel seine Spannung gibt. Aber während der Tod des Stiers gewiss ist, kommt der Torero fast immer mit dem Leben davon. Schon eine schwere Verletzung wie die von David Galván in Jaén ist die Ausnahme. Die Aficionados, die Freunde der Tauromaquia, kommen nicht in die Arena, um einem Kampf von Gleich zu Gleich beizuwohnen. Sie wollen sehen, wie der Torero den Stier, der ihm auf den ersten Blick an Kraft und Gefährlichkeit so weit überlegen ist, dominiert und schließlich mit hoffentlich gezielt gesetztem Degenstoß tötet.

Viele kommen nicht,weil ihnen das Geld fehlt

Die Tauromaquia gehört zu Spanien wie der Karneval zu Köln. Doch das atavistische Spektakel interessiert die Spanier immer weniger. So wie vor drei Wochen in Jaén bleiben die Ränge der Stierkampfarenen im Land immer häufiger halb leer. Im Jahr 2008 fanden in ganz Spanien 3295 Stierkampfveranstaltungen statt, im vergangenen Jahr waren es nur noch knapp 2000. „Die Dinge laufen nicht gut, wie in allen Bereichen“, sagt Mariano Aguirre, der Präsident des Königlichen Stierkampfbundes Spaniens. „Viele Leute können nicht kommen, was logisch ist. Wenn du zwischen einem Stierkampf und dem Brot für deine Kinder entscheiden musst, entscheidest du dich natürlich für das Brot.“

Aus Aguirres Sicht ist allein die schwere Wirtschaftskrise für das abnehmende Interesse an der Tauromaquia verantwortlich. Kinos und Theater leiden in diesen Jahren genauso unter Besucherschwund wie die Stierkampfarenen. Doch im Falle der Tauromaquia gibt es eine schon länger andauernde Tendenz der Entfremdung. Nach einer Umfragenreihe von ICSA-Gallup interessierten sich 1977 noch 17 Prozent der Spanier für den Stierkampf und 54 Prozent überhaupt nicht. Dreißig Jahre später war die Zahl der überzeugten Aficionadas auf sieben Prozent geschrumpft und die der Desinterssierten auf 72 Prozent gestiegen.

Politischer Druck von Tierschützern wächst

Zum erlahmenden Interesse kommt politischer Druck von Tierschützern, die den rituellen Stiertod seit langem als „brutale Folter“ und „Mord“ geißeln. Im Sommer 2010 machte sich das Regionalparlament von Katalonien die Argumente der Tierschützer zu eigen und stimmte für das Verbot der Stierkämpfe auf katalanischem Boden von 2012 an. Dies rief die Freunde der Tauromaquia auf den Plan. Der katalanische Stierkampfverband sammelte fast 600 000 Unterschriften für ein Volksbegehren mit dem Ziel, den Stierkampf zum nationalen Kulturgut zu erklären. Die Initiative stieß bei Spaniens regierender konservativer Volkspartei auf offene Ohren. Nach der abschließenden Abstimmung im Senat in der vergangenen Woche gehört die Tauromaquia nun offiziell zum „historischen und kulturellen Erbe“ Spaniens.

„Ein schwerer Schlag für das Ansehen Spaniens in der Welt“, bemerkten internationale Tierschutzverbände nach dem Senatsbeschluss. In einer gemeinsamen Erklärung beklagten sie den „zynischen und verzweifelten Versuch der Stierindustrie, die Zukunft eines Geschäftes im Niedergang zu sichern“. Die jubelnden Aficionados lassen sich von solchen Worten nicht beeindrucken. Sie warten auf weitere Schritte der spanischen Regierung, vor allem auf den angekündigten Nationalen Plan zur Förderung der Tauromaquia. Die Erhebung des Stierkampfs zum spanischen Kulturerbe hat keinerlei praktischen Konsequenzen. Ein nationaler Förderplan, so hoffen die Befürworter, könnte etwas handfestere Unterstützung für die Tauromaquia bedeuten.