Hassbotschaften und Gewaltandrohungen von Männern gegen Frauen nehmen drastisch zu. Die Opfer sind oft Prominente.

Stuttgart - Ob die Autorin Margarete Stokowski, die feministische Kolumnen schreibt, Sängerin Lena Mayer-Landrut, Journalistinnen wie Dunja Hayali und Anja Reschke, die Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus oder die Fußballkommentatorin Claudia Neumann: Sie alle werden im Netz mit Hate Speech konfrontiert. Stokowski erhält häufig sogar Gewalt- und Vergewaltigungsdrohungen von Männern, einer wünschte der Feministin gar den Tod. Stokowski antwortet diesem Pöbelbriefschreiber – ausnahmsweise: „Heute ist der einzige Tag in deinem Leben, an dem ich mir Zeit nehme für dich, und guck, du hast es komplett verspielt, ich bin immer noch Feministin und für ,Transgender-Klos’. Das ist doch blöd.” Juristische Bemühungen ihrerseits, den schlimmsten Kommentaren Einhalt zu gebieten, sagte die 33-Jährige kürzlich bei ihrer Lesung im Stuttgarter Literaturhaus, seien meist ins Leere gelaufen.

 

„Das Netz wirkt wie ein Katalysator“

Frauenhass ist nicht erst mit dem Internet entstanden. „Aber das Netz wirkt wie ein Katalysator, wie ein Brandbeschleuniger“, sagt der Soziologe und Sozialpsychologe Rolf Pohl (67), der seit den 1980er Jahren über die männliche Sozialisation, die Sexualität und das Gewaltpotenzial von Männern sowie über antifeministische Bewegungen forscht. Er betont, Frauenhass habe keineswegs mit dem Wiedererstarken des Feminismus zugenommen. „Wer das glaubt, geht den Männerrechtlern auf den Leim.“

Dass vor allem berühmte Frauen, die sich öffentlich und meinungsstark für Gleichberechtigung einsetzen, Opfer männlicher Hassbotschaften sind, erklärt Pohl so: „Das Erstarken von Frauen in der Welt wurmt diese Männer.“ Frauen seien heutzutage Konkurrenz auf Gebieten, die den Männern vorbehalten waren – der Hass entstehe oft aus Neid, auf die, die es geschafft haben. „Viele Männer trauern dem Ideal der männlichen Vorherrschaft nach“, beobachtet der Forscher.

Incel ist einer der hässlichsten Auswüchse dieser Bewegungen

Die Angriffe im Internet sind oft gezielt organisiert. Der kürzlich aufgeflogene digitale Boy’s Club „Ligue du LOL“ institutionalisierte über zehn Jahre hinweg Hetze, Hass und Häme in den sozialen Netzwerken. Auch in anderen Bewegungen manifestiert sich Frauenhass. Hinter der „Incel-Bewegung“ – ein Kofferwort für „involuntarily celebate“ (unfreiwillig enthaltsam) – stehen Mitglieder, die ihre sexuelle Frustration auf Frauen projizieren. Organisiert hat sich die Gruppe unter dem Banner „The Red Pill“, einem Verweis auf den Science-Fiction-Streifen „Matrix“. Darin schluckt der Protagonist Neo eine Pille, die ihm die Welt so offenbart, wie sie wirklich ist: grausam. Auf der Plattform „Reddit“ organisieren sich Männer, die glauben, ihr Leben lang getäuscht worden zu sein – von Frauen.

Incel sei einer der hässlichsten Auswüchse dieser Bewegungen, sagt Pohl. Er habe in manchen dieser Foren sogar Anleitungen dafür gefunden, wie Frauen vergewaltigt werden können. Für manche Männer sei Sex nur begleitet von Gewalt möglich. Sie wollten Frauen bestrafen für das Begehren, welches sie in ihnen auslösen, das aber unerwidert bleibt. Viele dieser Männer hätten das latente Gefühl, zu kurz zu kommen. „In der Realität stimmt das meistens nicht. Aber es ist wunderbar, wenn man einen Sündenbock hat“, sagt Pohl.

„Sie hassen Frauen, weil sie auf Frauen stehen“

In den Incel-Foren glaubt man etwa, die Medien impften ihnen ein, die Bedürfnisse von Frauen seien über alles zu stellen, posten User. Als Mann müsse man diesen „femininen Imperativ“ erkennen und lernen, ihn auszuhebeln. Das Paradoxe: „Sie hassen Frauen, weil sie auf Frauen stehen“, glaubt Pohl. Tatsächlich berichten viele User von traumatischen Trennungen, Beziehungen, in denen die Partnerin sich plötzlich abwendete, oder zurückgewiesenen Annäherungsversuchen. Die Kränkungen verwandeln sich bei manchen offenbar in blanken Hass mit aggressiver sexueller Konnotation. Letztlich sei dieser Hass nur die Kehrseite der Angst, nicht männlich genug zu sein, analysiert der Sozialpsychologe: „Nirgends ist der Mann ja schwächer und abhängiger als auf dem Feld der Sexualität. Deshalb ist die auch oft der Kampfplatz.“

Organisierte Kampagnen erzeugen den Eindruck, die Communities seien groß

„Pick-Up Artists“ wiederum, wie sich selbsternannte Verführungskünstler nennen, kompensieren ihren Frauenhass mit einem permanenten Eroberungszwang. „Sie glauben, man könnte Techniken perfektionieren, um jede Frau ins Bett zu kriegen“, sagt Pohl, der zurzeit viel über diese Szene forscht. Gerade die habe in den letzten Jahren enormen Zulauf bekommen. Andere haben das deutsche Hetzportal „Wikimannia“ gegründet, um „der feministischen Verzerrung entgegenzuwirken, welche die Gesellschaft mit einem Weltbild durchsäuert, in dem es nur weibliche Opfer und männliche Täter gibt“, heißt es auf der Website. Die Männer bestätigen sich dort in ihrem Glauben, von „linksradikalen Feminazis“ untergebuttert zu werden. Die Sprüche der Nutzer sind frauenverachtend, rassistisch und schwulenfeindlich zugleich.

Organisierte Hasskampagnen erzeugen den Eindruck, diese Communities seien groß. Wikimannia oder die Plattformen „Weiberplage“ und „Wieviel ‚Gleichberechtigung’ verträgt das Land?“ haben aber letztlich nur eine geringe Anhängerzahl. Das ergab zumindest die großangelegte Studie der Heinrich-Böll-Stiftung „Die antifeministische Männerrechtsbewegung“ schon vor einigen Jahren. Sie kommt zu dem Ergebnis, es sei „keine soziale Bewegung“. Dies liege insbesondere an der relativ geringen und heterogenen Masse und dem eingeschränkten Mobilisierungspotenzial. Eine Einschätzung, die man beim Böll-Institut prinzipiell für aktuell hält – allerdings seien neue Akteure dazugekommen. So habe sich die Schlagkraft antifeministischer Angriffe erhöht.

Ungefährlich ist die Maskulinistenbewegung nicht

Ihre physische Größe bleibt dennoch überschaubar. In Deutschland gebe es zwei reine „Männerrechtsvereine“, sagt der Sozialforscher Thomas Gesterkamp, der schon 2010 zu der Bewegung recherchierte: „Manndat“ zähle etwa 300 Mitglieder, „Agens“ etwa 100: „Sie sind im Netz durchaus sehr präsent, aber alles andere als eine Graswurzelbewegung.“

Ungefährlich ist die Maskulinistenbewegung jedenfalls nicht, denn der Hass bleibt keineswegs nur im Netz. So nannte ein junger Mann, der 2014 in Isla Vista nahe Santa Barbara in Kalifornien sechs Menschen und anschließend sich selbst tötete, als Motiv: Er habe Frauen bestrafen wollen, weil sie ihm die Zuneigung verweigerten. Dieser Mann, Elliot Rodger, wird mittlerweile als Held der Incel-Bewegung gefeiert – und auch nachgeahmt. Vier Jahre später, im April 2018, fuhr ein 25-Jähriger in Toronto mit einem Van in eine Menschenmenge und tötete zehn Menschen, überwiegend Frauen. Sein Statement zuvor auf Facebook: „Die Incel-Rebellion hat begonnen.“