Die Kundgebung ist nicht riesig groß. Doch groß ist die Einigkeit der Menschen, die ihr Entsetzen über den Terror von Paris ausdrücken. Weihbischof Heinrich bringt es auf den Punkt: „Es eint uns der Wille, uns nicht gegeneinander aufbringen zu lassen.“

Berlin - So viel Einigkeit war nie. Muslime, Juden, Christen, betroffene Bürger und Politiker, sie alle haben sich unter dem Eindruck des islamistischen Terrors in Paris zusammengefunden, um an diesem milden Winterabend in Berlin ein Zeichen zu setzen gegen Hass und religiösen Fanatismus. Es sind keine Massen, die vor dem Brandenburger Tor versammelt sind, dafür war diese Mahnwache wohl auch zu kurzfristig anberaumt worden. Aber am Ende ist der Pariser Platz gut gefüllt.

 

Bundespräsident Joachim Gauck, dessen Herzensthema die Freiheit ist, ist froh, dass der Zentralrat der Muslime diese Veranstaltung organisiert hat. Er sagt: „Das ist ein patriotisches „Ja“ zu dem Land, in dem wir gemeinsam leben.“

Doch Gauck will sich nicht dem Vorwurf aussetzen, er kehre die real existierenden Probleme unter den Tisch. Der Bundespräsident sagt, ja, es gibt Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Auch radikale Islamisten und Menschen, die auf der Straße antisemitische Parolen riefen, seien bedauerlicherweise Teil der gesellschaftlichen Realität. Und ja, die Distanz zwischen Einwanderern und Einheimischen sei immer noch zu groß. „Wir alle sind Deutschland“, sagt Gauck. Den Terroristen ruft er entgegen: „Euer Hass ist unser Ansporn.“

Kurzfristig organisiert

Man merkt, dass diese Veranstaltung binnen 24 Stunden organisiert worden ist. Mitarbeiter von TV-Sendern wissen nicht, wo sie ihre Kameras aufbauen dürfen, ein Polizist fragt seinen Vorgesetzten, was mit rund noch 15 auf dem Pariser Platz stehenden Fahrrädern passieren soll. Bis kurz vor Beginn werden noch rot-weiße Absperrgitter herangekarrt. Eigentlich wollte man die Bühne in Richtung Straße des 17. Juni aufbauen. Da ist mehr Platz. Doch dort wird gerade ein Zelt für die Modemesse „Fashion Week“ aufgebaut.

Das Bild des Brandenburger Tores ist beeindruckend. Säulen und Quadriga leuchten in den Farben der Trikolore. In Sichtweite ist die französische Botschaft, an der Glasfront im Eingangsbereich hängt ein schwarzes Plakat, in weißer Schrift sind dort die 17 Toten aufgelistet: Mitarbeiter der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“, Polizisten und vier jüdische Bürger, die in einem Supermarkt erschossen worden sind.

Viele Teilnehmer der Mahnwache haben sich kleine „Je suis Charlie“-Aufkleber auf die Jacken geklebt. Im Blumenmeer vor der Botschaft liegt ein Schild mit der Aufschrift „Berlin ist Charlie“, auf anderen steht „Liberté“, „Warum?“ und „Meinungsfreiheit ist nicht verhandelbar.“ Die geballte politische Prominenz, die auf der Bühne steht, ist auch das Signal, die friedlichen und gemäßigten Muslime zu unterstützen.

„Zusammen stehen - Gesicht zeigen“

Allerdings wird die von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstützte Aussage, der Islam gehöre heute zu Deutschland, selbst in ihrer eigenen Partei nicht von allen geteilt. „Welcher Islam ist gemeint? Gilt das auch für seine islamistischen und salafistischen Strömungen?“, fragt der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach in der „Saarbrücker Zeitung“. Beim Koalitionspartner SPD ist man hingegen froh über die klare Kante der Kanzlerin, auch an die Adresse der islamfeindlichen Pegida-Bewegung und der AfD, die bei muslimischen Migranten große Integrationsdefizite ausgemacht haben will.

„Zusammen stehen - Gesicht zeigen“, ist das Motto der Mahnwache. Doch so richtig zusammen stehen eigentlich nur die Politiker und die Vertreter der verschiedenen Religionsgemeinschaften auf der Bühne. Unten auf dem Platz stehen die verschiedenen Gruppen dagegen eher für sich - die Exil-Iraner, die Araber und die Deutschen, von denen einige Kerzen mitgebracht haben.

Zum Schluss haken sich alle auf der Bühne unter, so wie bei dem Gedenkmarsch für die Terroropfer am vergangenen Sonntag in Paris. Viele Menschen unten auf der Straße folgen dem Beispiel der Politiker und religiösen Würdenträger. Auch der frühere Bundespräsident Christian Wulff steht oben auf der Bühne. „Der Islam gehört zu Deutschland“, er hat für diesen Satz während seiner Amtszeit viel Kritik einstecken müssen. Heute kann er sich irgendwie bestätigt fühlen.