Der IG-Metall-Chef Berthold Huber kritisiert das Arbeitgeberangebot. Am Donnerstag soll nun die erste Warnstreikwelle anrollen. Bereits am 1. Mai kam es zu Demonstrationen und Kundgebungen in Stuttgart.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Etwa 35 000 Menschen haben nach Angaben des Gewerkschaftsbundes (DGB) die 40 Maikundgebungen im Südwesten besucht. Der Auftritt von IG Metall-Chef Berthold Huber vor fast 5000 Menschen auf dem Marktplatz in Stuttgart stand auch im Zeichen der ersten Warnstreikwelle in der Metall- und Elektroindustrie, die in der vergangenen Nacht bei Daimler in Sindelfingen gestartet wurde.

 

Am Donnerstag solle es bereits in 50 Betrieben des Tarifbezirks zu „sichtbaren Aktionen“ mit 20 000 Beschäftigten kommen, sagte ein Sprecher der IG Metall. Die Belegschaften der Autoindustrie marschieren wie gewohnt vorneweg: Am Vormittag zieht die Frühschicht wiederum in Sindelfingen und von Porsche Zuffenhausen vor die Tore.

Huber nahm sich das Angebot der Metallarbeitgeber vor, die nach zwei sogenannten Nullmonaten eine Erhöhung von 2,3 Prozent vorschlagen. „Das sind nach Adam Riese 1,9 Prozent auf ein Jahr gerechnet und deckt gerade noch die Preissteigerungsrate ab“, sagte er. Dies sei keine Reallohnerhöhung, sondern ein Reallohnstopp. Die Arbeitgeber wollten die Beschäftigten nicht an den Wohlstandsgewinnen teilhaben lassen. Dabei hätten die Unternehmen im Vorjahr – dem drittbesten Jahr überhaupt – ein Bruttoergebnis von 52 Milliarden Euro erzielt. „Den Gewinn haben nicht die Aktionäre, sondern die Arbeitnehmer erwirtschaftet“, betonte Huber.

Der Niedriglohnsektor wachse wie nirgendwo

Die Umsetzung der 5,5-Prozent-Forderung bei 3,7 Millionen Beschäftigten würde die Unternehmen 9,5 Milliarden Euro im Jahr kosten, hat die Gewerkschaft errechnet. Südwestmetall ließ schon verlauten, dass die Arbeitgeber nicht an eine Nachbesserung ihres Angebots dächten.

Huber monierte, dass in keinem Land Europas der Niedriglohnsektor so stark wachse wie hier. Leiharbeit, Werkverträge, Befristungen, Minijobs und unbezahlte Praktika gehörten zum Alltag in den Betrieben. In manchen Regionen Baden-Württembergs seien mehr als 20 Prozent der Arbeitsplätze Minijobs – in Hotels, Gaststätten und dem Einzelhandel würden viele Stellen in zwei bis drei schlecht bezahlte Jobs aufgeteilt. Einen „Skandal“ nannte der IG-Metall-Chef gar die Kündigung der Manteltarifverträge durch die Arbeitgeber des Einzelhandels, die sich eine niedrigere Lohnstruktur zum Ziel gesetzt haben. „Die gesamte Gewerkschaftsbewegung muss gegen diese Verbrechen aufstehen“, mahnte Huber. Die Tarifverhandlungen im baden-württembergischen Handel beginnen heute in Korntal-Münchingen.

Auch der DGB-Landesvorsitzende Nikolaus Landgraf verlangte eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Die Steuerzahler müssten die Niedriglöhne der Arbeitgeber jährlich mit sieben Milliarden Euro subventionieren – so viel koste das Aufstocken von Hungerlöhnen auf Hartz-IV-Niveau. Die geringfügige Beschäftigung in Baden-Württemberg habe in den letzten zehn Jahren um 35 Prozent zugenommen – auf weit über eine Million. „Das sogenannte deutsche Beschäftigungswunder bekommt bei näherem Hinsehen ein hässliches Gesicht“, so Landgraf. „Die Wahrheit ist: Wir haben nicht mehr Arbeit – die Arbeit ist nur auf mehr Köpfe verteilt worden.“

Die Landesvereinigung der Arbeitgeber Baden-Württemberg rügte ähnliche Äußerungen von Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) zu einer Ausbreitung der Niedriglöhne. Diese Wahrnehmung des Arbeitsmarktes folge einem Zerrbild, äußerte Hauptgeschäftsführer Peer-Michael Dick. Der Niedriglohnsektor habe sich von 2003 bis 2007 dynamisch entwickelt, seitdem stagniere er und sei seit 2010 rückläufig. Im Südwesten habe reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung besonders kräftig zugelegt. „Es ist schlicht unwahr, dass angeblich prekäre Beschäftigung Normalarbeitsplätze verdrängt“, sagte Dick.