Am Samstag spielt der VfB beim FSV Mainz 05 -und trifft dort auf seinen früheren Stürmer Shinji Okazaki. Aber auch auf den Manager Christian Heidel. Der spricht im Interview über die Unterschiede ziwschen FSV und dem VfB.

Mainz – - Nicht wenige Leute sagen, Christian Heidel (51) gehöre zu Mainz wie die Fastnacht. Solchen Stimmen würde der Manager wohl nicht widersprechen, der die Geschäfte des örtlichen Fußballclubs FSV seit 1. April 1991 führt. Zurzeit ist das aber nicht so ganz einfach.
Herr Heidel, nach der 1:2-Niederlage am vergangenen Sonntag beim Hamburger SV haben Sie gesagt, dass Sie die Zügel jetzt anziehen wollen. Was bedeutet das?
Das ist das Lustige an dieser Sache, dass jetzt jeder meinen Ablaufplan wissen will – wann geht der Heidel in die Kabine und hält eine Strafpredigt? Aber das passiert nicht. Ich werde nicht die Keule schwingen und keine populistischen Aussagen tätigen.
Was machen Sie dann?
Fußballer sind manchmal etwas merkwürdig in ihren Denkweisen. Was ich gemeint habe, ist, dass man den Spielern nun noch einmal genau erklären muss, in welche Richtung die Entwicklung auf keinen Fall weiterlaufen darf. Es geht darum, sie für den Ernst der Lage zu sensibilisieren. Das haben noch nicht alle zu hundert Prozent verinnerlicht, sonst hätten wir in Hamburg nicht verloren.
Warum sind Fußballer etwas merkwürdig?
Weil man ihnen gewisse Dinge in regelmäßigen Abständen immer wieder vor Augen führen muss, damit sie es nicht vergessen. Dafür habe ich ganz sensible Antennen. Ich habe den Eindruck, dass die Spieler ab und zu eine Zäsur brauchen – und eine klare Ansage, was wir von ihnen erwarten und wohin die Reise gehen soll. Hier geht es um totale Konzentration.
Momentan geht diese Reise in Mainz in die falsche Richtung, weil die Mannschaft seit sechs Begegnungen nicht mehr gewonnen hat. Wo sehen Sie das größte Problem?
Ich möchte in der Stuttgarter Zeitung ungern über unsere Schwächen reden, weil wir nun gegen den VfB spielen – und die Verantwortlichen meine Aussagen lesen. Aber die Fakten liegen ja auf dem Tisch: sechs Spiele, kein Sieg. Wir müssen die Situation offen analysieren und das dem Team dann auch so rüberbringen.
Obwohl die VfB-Verantwortlichen ihre Aussagen eventuell registrieren, dürfen Sie bei dem Thema mit der Talfahrt Ihres Teams aber gerne noch konkreter werden.
Ich lese ja von morgens bis abends, dass Marco Reus in Dortmund ausfällt und dass er der Mannschaft sehr fehlt. Das soll jetzt keine Ausrede sein , doch bei uns fehlen nahezu alle Führungsspieler schon seit längerer Zeit. Das können wir nicht so ohne Weiteres kompensieren, weil wir uns leider keinen so breit aufgestellten und teuren Kader leisten können wie manch andere Vereine. Und hexen können wir auch nicht.
Haben Sie deshalb kürzlich auch gesagt, dass es nicht ungewöhnlich ist, wenn Mainz im Abstiegskampf steckt?
Zum einen befindet sich doch die halbe Liga im Abstiegskampf. So beträgt der Abstand zwischen dem Tabellensiebten aus Frankfurt und dem Schlusslicht aus Stuttgart gerade einmal neun Punkte. Ich habe selten erlebt, dass es so eng ist.
Und andererseits?
Wirtschaftlich und strukturell sind wir ein Club, der eigentlich jedes Jahr gegen den Abstieg kämpfen müsste – erst recht angesichts des personellen Umbruchs, den wir vor dieser Saison gemacht haben. Wir sind eben Mainz 05 und werden nicht konstant ungeschlagen bleiben.
Die Fans erwarten jedoch vermutlich ein bisschen mehr als den Klassenverbleib?
Dann muss mir aber mal einer verraten, womit diese Erwartungshaltung gerechtfertigt ist. Unser Personaletat für die Mannschaft beträgt 23 Millionen Euro. Weniger Geld dürfte nur noch Paderborn zur Verfügung haben. Beim VfB Stuttgart wird beispielsweise darüber diskutiert, ob es 40 oder 42 Millionen Euro sind. Und trotzdem sind wir seit sechs Jahren nicht mehr ernsthaft in Abstiegsgefahr geraten. Da sind wir jetzt schon ein wenig das Opfer unseres eigenen Erfolgs.
In Abstiegsgefahr geraten sind dagegen so manche Traditionsvereine wie der VfB, der Hamburger SV oder Werder Bremen.
Das zeigt mir, dass die kleineren Clubs in den letzten Jahren aufgeholt haben. Ich sage sowieso immer, dass wir nur eine Chance haben, wenn wir weniger Fehler machen als die großen Vereine – und das ist uns seit einiger Zeit offensichtlich gelungen. Aber es gibt keine Garantie, dass uns das auch weiter gelingen wird.
Haben es kleinere Clubs aber nicht auch leichter als die Traditionsvereine, weil bei ihnen der Druck von außen geringer ist?
Natürlich ist der Druck in Stuttgart oder in Hamburg größer als in Augsburg oder Mainz. Aber dieses Argument kann ich trotzdem nicht akzeptieren. Wenn man sich dem Druck beugt, hat das mit Populismus zu tun – und das ist sehr gefährlich. Ein Club muss seine Entscheidungen aus Überzeugung treffen, egal wie andere das sehen und egal ob es äußere Widerstände oder Druck gibt. So haben wir es zumindest hier in Mainz immer gehalten. Sonst hätten wir niemals Jürgen Klopp und Thomas Tuchel als Trainer verpflichtet. Da haben uns einige Leute ja für verrückt erklärt und wollten uns schon den Krankenwagen vorbeischicken. Aber wir waren uns im Verein einig, dass das der Weg ist, den wir durchziehen.
Der VfB Stuttgart sucht gerade einen neuen Manager. Was braucht man für dieses Amt?
Auch mit 23 Jahren Erfahrung, maße ich mir da kein Urteil an.
Wie wichtig ist diese Erfahrung aber in Ihrem Job?
Sie ist ein sehr wichtiger Faktor, denn Erfahrung bringt Netzwerke und Kontakte. Das ist eine unabdingbare Voraussetzung für jeden Manager oder Sportdirektor. In dieser Position muss man den Markt kennen und wissen, was zum Beispiel ein Spieler in Paderborn, Stuttgart oder Mainz verdient. Dazu reicht es nicht, dass man früher vielleicht selbst einmal Profi gewesen ist. Ein Profi hat ja in aller Regel nicht einmal seinen eigenen Vertrag ausgehandelt. Wie soll das dann funktionieren?
Können Sie sich vorstellen, einmal woanders zu arbeiten als in Mainz?
Das hier ist für mich viel mehr als ein Job. Ich bin in Mainz geboren und arbeite in meiner Heimatstadt. Wir haben so viel gemeinsam erlebt und entwickelt. Eine solche Verbindung wird es nicht mehr geben. Aber verheiratet bin ich mit dem Verein trotzdem nicht. Ich mache mir von Natur aus nicht so viele Gedanken über meine Zukunft. Aber mich müsste ein Projekt und eine Idee fesseln und reizen, denn mir geht es immer um Entwicklung mit Nachhaltigkeit. So war und ist das in Mainz, wo ich rundum glücklich bin – und das ist nicht abhängig von Ergebnissen .
Ziemlich unglücklich dürften Sie aber im Mai gewesen sein, als Thomas Tuchel trotz eines noch laufenden Vertrags seinen Abschied verkündete?
Das war in der Tat eine diffizile Geschichte. Aber auch wenn seine Entscheidung damals etwas kurios war – Thomas war ehrlich zu mir. Da gab und gibt es kein Nachtreten und kein böses Wort – von keiner Seite. Wir haben keinen Krach.
Haben Sie noch Kontakt zu Thomas Tuchel?
Nein, zurzeit nicht, weil die Emotionen aus dieser Sache erst mal raus müssen. Mir ist es jedoch ein Bedürfnis, dass wir mal wieder zusammen einen Kaffee trinken – unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Was ist Tuchel für ein Trainer?
Ein hervorragender. Er weiß, wie das Spiel funktioniert, und hat die Gabe, das der Mannschaft beizubringen. Er kann einem Team, das kein System hat, in kürzester Zeit ein System vermitteln – sodass es die Spieler auch umsetzen können. Dazu kommt seine hohe Sozialkompetenz. Er ist zwar hart in seinen Methoden, aber er pflegt trotzdem einen menschlichen Umgang mit seinen Spielern. Da gab es nie ein Problem bei uns. Er hat eine angeborene Autorität und eine Aura. In seiner Arbeit erkennt man eine gewisse Logik. Allerdings konnte er hier auch frei schalten und sich entwickeln – wie zuvor auch Jürgen Klopp.
Was glauben Sie, was die nächste Station von Tuchel sein wird?
Das weiß ich nicht. Ich weiß nur eines – dass sich jeder Verein freuen kann, bei dem er einen Vertrag unterschreibt. Man bekommt einen absoluten Fachmann.
Der zweite besondere Trainer, den Sie in Mainz hatten, war Jürgen Klopp. Wie ist das Verhältnis zu ihm?
Er gehört zu meinen guten Freunden. Ich bin auch felsenfest überzeugt, dass er die aktuell schwierige Situation in Dortmund nicht nur meistert, sondern dass er daraus auch sehr gestärkt und mit neuen Erfahrungen hervorgehen wird.
Vergleichen Sie Klopp und Tuchel doch mal.
Das möchte ich nicht, aber beide sind sehr emotional und hundertprozentig authentisch. Da ist keine Schauspielerei dabei.