In der Pariser „Maison de la Chantilly“ ist Schlagsahne nicht Beilage, sondern Hauptgericht. Das weckt Erinnerungen an lang vergangene Kindertage.

Paris - Das hat es doch schon einmal gegeben. Lang her ist es. Aus Kindheitstagen rührt dieses Glücksgefühl. Es pflegte aufzukommen, wenn die hübsche Verkäuferin im Milchladen diesen auf dem Kopf stehenden Waffelkegel herüberreichte, aus dem Schlagsahne quoll. Und da kehrt dieses Glück jetzt unversehens zurück, viele hundert Kilometer weiter westlich, im siebten Pariser Arrondissement, 47, Rue Cler.

 

Was einst der Milchladen war, ist nun das Haus der Schlagsahne. Die Schöne heißt Camille Schermann, ist nicht nur Verkäuferin, sondern mit ihren 21 Jahren auch schon Managerin des Hauses. Der Kegel ist fester und aromatischer als damals, mehr Knusperkeks als diese essbare „Pappe“ von früher. Aber die Schlagsahne ist eben wie damals. Allererste Sahne. Crème de la Crème. Und wie damals erschließt sich nicht gleich, wie diese schaumig-feste Substanz zustande kommen konnte. Sahne schlagen, Zucker rein, fertig? Von wegen! So einfach ist das nicht.

Schlagsahne ist für die Franzosen Crème Chantilly,

Damit entsteht, worin mittlerweile auch Chloe Strasser, eine Paris erkundende kalifornische Studentin, genüsslich ihre Zunge versenkt, gilt es noch mehr zu beachten. Frédéric Dray fasst zusammen, worauf es ankommt: Der Rahm sollte aus dem Cantal kommen, dem im Zentralmassiv gelegenen Departement, und mindestens 38 Prozent Fett enthalten, der Zuckeranteil sollte bei sieben Prozent liegen. Als „der Investor“ stellt sich der eine Straßenecke weiter wohnende 56-jährige Franzose vor, als „jemand, der beschlossen hat, dem Glück des Sahneschleckens in Paris eine Heimstatt zu geben und damit Geld zu verdienen“.

Schlagsahne ist für die Franzosen nicht einfach Crème, sondern Crème Chantilly, und so heißt das in der von Feinschmeckergeschäften gesäumten Rue Cler liegende Haus „Maison de la Chantilly“. Der Name ist Programm. Dem Schlagrahm gebührt hier die Hauptrolle. Die von der Decke baumelnden Schneebesen, die blütenweißen Tische und Stühle, die an der Decke prangenden Wölkchen, alles verweist auf Crème Chantilly. Der Rest ist Beiwerk. So lecker Baiser-Böden, Windbeutel, Heidel-, Him- und Erdbeeren auch sein mögen: Es geht auch ohne.

Gegen Zeitgeist, Schlankheitswahn und ärztliche Vorgaben aufbegehren

Eine beleibte Dame, die für 8,50 Euro einen halben Liter Sahne zum Mitnehmen erstanden hat, spricht vom Vergnügen, gegen Zeitgeist, Schlankheitswahn und ärztlichen Vorgaben aufzubegehren. Die aus Westfrankreich stammende Kosmetikerin Marie-Christine, die sich für Sahne mit ein bisschen Windbeutel entschieden hat, erzählt von ihrer erfolgreichen Chemo-Therapie gegen Krebs und der im Lauf der Behandlung gewonnenen Überzeugung, dass man versuchen sollte, das Leben zu genießen, bevor es vorbei sei.

Aber auch wenn sich das Haus mit sichtlich zufriedenen Kundinnen füllt, das Ziel des Investors, mit dieser Heimstatt des Sahneschleckens Geld zu verdienen, ist noch fern. Als man vor einem Jahr die schöne Idee vom Schlagrahmtempel in die Tat umsetzte, sei man ein wenig naiv zu Werke gegangen, sagt Frédéric Dray. So habe man etwa versäumt, der Laufkundschaft klar zu signalisieren, um was es gehe. So mancher Passant glaube, ein zu klein geratenes Straßencafé vor sich zu haben oder eine schlecht bestückte Bäckerei. Touristen wüssten mit dem Begriff „Chantilly“ oft nichts anzufangen, verbänden ihn mehr mit dem gleichnamigen Schloss als mit Schlagsahne.

Kindheitserinnerungen gedeihen hier

Aber auch wenn es noch nachzubessern gilt: Kindheitserinnerungen gedeihen in der „Maison de la Chantilly“ bereits ganz vortrefflich. Soeben gesellt sich eine weitere hinzu, eine weniger schöne. Diesen größten anzunehmenden Unfall, auch ihn hatte es doch damals schon gegeben. Chloe Strasser stößt er nun zu. Eben noch hat sie verglichen, was sie in Kalifornien aus der Dose auf ihre Hotcakes (kleine dicke Pfannkuchen) gesprüht bekommt und was sie aus der Waffel zu Tage fördert. „Das hier schmeckt sogar nach Milch“, hat sie gesagt. Und dann passiert es.

Die Studentin hat wohl zu fest zugedrückt. Der Kegel bricht, die obere Hälfte mitsamt Inhalt fällt hinunter, landet neben dem Tischbein. Zum Frust, dass die Zunge nichts erwischt, tritt die Scham, den Boden schmutzig gemacht zu haben. Damals war das jedenfalls so.