Ein von der Deutschen Bahn beauftragtes Gutachten zeigt: In Sachen Brandschutz weist das Projekt Stuttgart 21 eklatante Mängel auf. In einem Evakuierungsfall könnte das sogar Menschenleben gefährden.

Stuttgart - Das Brandschutzkonzept der Deutschen Bahn für den Stuttgart-21-Tiefbahnhof sowie die angrenzenden Tunnelbauten ist nach Ansicht von Gutachtern derzeit nicht genehmigungsfähig und gefährdet im Evakuierungsfall sogar Menschenleben. Das geht aus einer Stellungnahme des von der Bahn selbst beauftragten Gutachterbüros hervor, die der Stuttgarter Zeitung vorliegt. Die Experten der Baseler Gruner AG, die ein erstes Bahngutachten von 2003 nochmals überprüfen sollten, kommen darin zu dem Schluss, die von der Bahn vorgelegten Pläne für den Brandschutz, die Sicherheit und die Entrauchung der unterirdischen Durchgangsstation, des Fildertunnels und des Tunnels nach Wangen stellten „kein gesamthaftes, funktions- und genehmigungsfähiges Konzept“ dar. Eine Anpassung der Pläne macht nach ihrer Ansicht eine erneute Planänderung für den Tiefbahnhof zwingend notwendig. Es wäre dann die zwölfte nach der 2005 erteilten Baugenehmigung.

 

Der Projektsprecher von Stuttgart 21, Wolfgang Dietrich, bestätigte auf Anfrage der StZ die Existenz der Studie. Die Bahn habe diese selbst in Auftrag gegeben, da sich die Brandschutzvorschriften in den vergangenen Jahren verschärft hätten. Er räumte zugleich an, dass die Zweitexpertise und das Erstgutachten des „sehr renommierten“ Düsseldorfer Fachbüros Klingsch „in einigen wichtigen Punkten“ sich widersprechende Aussagen enthielten.

Bei ungünstigen Szenarien sei die Halle verraucht

Im Einzelnen führen die Gutachter der Gruner AG gleich mehrere Risiken auf: So gehe das vorliegende Brandschutzkonzept von viel zu langen Evakuierungszeiten im Katastrophenfall – also nach Einfahrt eines brennenden Zuges in die Bahnhofshalle – aus und basiere „auf einem Entrauchungskonzept, das flüchtende Personen mit Rauchgasen kontaminierter Luft aussetzt“. Weiter heißt es in der gutachterlichen Stellungnahme, bei ungünstigen Szenarien sei die unterirdische Bahnhofshalle „nach 24 Minuten verraucht“. Demgegenüber ging die Bahn in ihrem Konzept von einer Evakuierungszeit von 23 Minuten im Brandfall aus. Die Gutachter sehen dies als äußerst kritisch an und verweisen zur Begründung auf Vorschriften der Versammlungsstättenverordnung sowie bahneigene Vorschriften. So gehe etwa das Anwenderbuch der für Bahnhöfe zuständigen Tochter DB Station & Service davon aus, „dass die Selbstrettungsphase in der Regel 15 Minuten nach Brandbeginn beendet ist“.

Auch die Fluchtwegesituation im Tiefbahnhof gefährdet aus ihrer Sicht im Brandfall Menschenleben. In dem Gutachten heißt es: „Die mittlere Stauzeit der zu evakuierenden Personen auf dem Bahnsteig beträgt etwa acht Minuten, im ungünstigsten Fall liegt die maximale Stauzeit vor den Treppen bei 19 Minuten. Angesichts der problematischen Entrauchungssituation und der Tatsache, dass am betroffenen Bahnsteig gegebenenfalls ein brennender Zug steht, sind diese Werte als äußerst kritisch zu beurteilen.“ Angesichts des zu erwartenden Gedränges der Passagiere auf dem Bahnsteig steige „das Risiko von Verletzungen erheblich“. Auch die Länge der Fluchtwege bis zu den ins Freie führenden rettenden Treppen seien mit maximal 45 Metern erheblich zu lang. Angesichts der Tatsache, dass die Versammlungsstättenverordnung bereits ab Räumen mit 200 Personen gelte, müsse die Abweichung von den Vorgaben dieser Vorschrift (maximale Länge der Fluchtwege: 35 Meter) begründet werden. Insgesamt sei dadurch eine Genehmigung der Pläne durch das zuständige Eisenbahnbundesamt sowie die „öffentliche Akzeptanz“ in Frage gestellt. Die Experten empfehlen zusätzliche Fluchtreppenhäuser oder Fluchttunnel anzulegen und die bestehenden Fluchtwege zu verbreitern.

Keinen Grund zu bagatellisieren oder zu dramatisieren

In Zweifel zu ziehen sind laut Gutachten außerdem die „Steuerung der brandschutztechnischen Komponenten“ sowie die grundsätzliche Funktionsfähigkeit der sogenannten Detektion – also der Brandmelder. Das vorliegende Konzept sei in dieser Form nicht genehmigungsfähig, entsprechende Umbaumaßnahmen, etwa bei den Treppenhäusern, oder der alternative Einsatz einer sogenannten Microwasserfeinvernebelungsanlage mache „in jedem Fall einen Antrag auf Planänderung der ursprünglichen Planfeststellung für den Tiefbahnhof notwendig“.

Projektsprecher Dietrich betonte, dass es sich bei der Planung des Bahnhofs um einen laufenden Prozess handle. Es gebe angesichts des Gutachtens weder einen Grund die Dinge zu bagatellisieren noch zu dramatisieren. Die Bahn werde sich mit beiden Gutachtern und dritten Experten an einen Tisch setzen und die notwendigen Maßnahmen treffen. Mit dem Brandschutz sei nicht zu spaßen, sagte er: „Falls nachgebessert werden muss, wird nachgebessert.“