Die Debatte um immer neue Untersuchungsgremien des Landtags zur Aufarbeitung der Regierung Mappus zeigt vor allem eins: Dem Parlament wird nichts zugetraut – und es traut sich selbst nichts zu.

Stuttgart - Noch ein Untersuchungsausschuss? Darf Grün-Rot das? In der CDU wächst das Unbehagen über die anhaltenden Bemühungen der Regierungsfraktionen, mittels des – so der gängige Topos – „schärfsten Schwerts der Opposition“ das Erbe der kurzen, aber folgenreichen Regierungszeit des Ministerpräsidenten Stefan Mappus aufzuarbeiten. Der Untersuchungsausschuss zum EnBW-Deal hat eben seine Arbeit abgeschlossen, der zweite Ausschuss zum Schwarzen Donnerstag hingegen terminiert seine Sitzungen bereits weit ins kommende Jahr hinein. Und schon erwägen die Grünen einen weiteren Ausschuss zum großen Verkehrsvertrag mit der Bahn, hinter dem sie schon lange eine versteckte Querfinanzierung für Stuttgart 21 wittern.

 

Aber was heißt hier „schärfstes Schwert der Opposition“? Grün-Rot regiert seit mehr als drei Jahren. Der CDU-Abgeordnete Reinhard Löffler hält Untersuchungsausschüsse in erster Linie für ein Kontrollinstrument der Opposition; nun werde es von Grün-Rot missbraucht, um die alte Landesregierung zur Verantwortung zu ziehen. Und dies unter Missachtung des von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geschützten „Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung“. Auf diese Formel hatte sich etwa der Staatsgerichtshof von Baden-Württemberg berufen, als er 2007 befand: „Dieser Kernbereich schließt einen auch von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich der Regierung ein.“

Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung

Damals hatte die schwarz-gelbe Landtagsmehrheit einen von der SPD-Fraktion beantragten Untersuchungsausschuss zum Ausverkauf mittelalteralterlicher Kunst- und Kulturgüter aus badischen Beständen abgelehnt – worauf die SPD vor dem Staatsgerichtshof ihren parlamentarischen Minderheitenschutz einklagte. Das Gericht wies die Klage unter Verweis auf den Schutz des Kernbereichs der exekutiven Eigenverantwortung ab. Allerdings stellte sich die Sachlage seinerzeit insofern anders dar, als der so genannte Kulturgüterstreit zum Zeitpunkt des SPD-Antrags noch keineswegs entschieden war, weshalb der Staatsgerichtshof insistierte, die Kontrollkompetenz des Parlaments beziehe sich lediglich auf „abgeschlossene Vorgänge“, nicht aber auf „laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen“ der Regierung. Erst 2009 einigten sich Günther Oettinger (CDU) und das badische Markgrafenhaus.

Dagegen ist der Polizeieinsatz im Schlossgarten am 30. September 2010 Vergangenheit. Dass dies auch Auswirkungen auf die Intensität der Abschirmung des exekutiven Kernbereichs hat, zeigt folgender Satz aus dem Urteil des Staatsgerichtshofs: „In laufenden politischen Prozessen fällt der Schutz des Kernbereichs des Regierungshandelns stärker ins Gewicht und muss die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses die Ausnahme bleiben.“ Umgekehrt gilt also: Bei abgeschlossenen Vorgängen ist das Schutzbedürfnis geringer.

Herumstöbern in alten Hinterlassenschaften

Der CDU-Abgeordnete Löffler verweist nun auf einen in der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) erschienenen Aufsatz des Juristen Martin Reinhardt von der Universität Würzburg. Dieser wirft Grün-Rot vor, den Untersuchungsausschuss Schlossgarten II als „Instrument exekutiver Agitation“ zu missbrauchen. Reinhardts argumentative Volte liegt in der These, die grün-rote Landesregierung sei geradezu zur Geheimhaltung – etwa von internen Mails – verpflichtet, „um eine effektive Gewährleistung des exekutiven Kernbereichs sicherzustellen“. Dies umso mehr, als der Schwarze Donnerstag erst eine Legislaturperiode zurückliege und die Vorgänge rund um Stuttgart 21 immer noch aktuell seien.

Unbeugsamen Transparenzpredigern mag Reinhardts Gedankengang verdächtig sein. Immerhin aber schimmert aus der Argumentation die nicht völlig abwegige Sorge hervor, jeder Machtwechsel könne zumindest theoretisch dazu führen, dass die jeweils neue Regierung mittels Herumstöbern in den internen Hinterlassenschaften der alten Regierung Skandalisierungspotenziale schöpft, um sodann Untersuchungsausschüsse als politisches Tribunal zu installieren.

Die Schranke für die Zulässigkeit eines Untersuchungsausschusses liegt für Reinhardt in der Abwägung, ob ein Informationsinteresse besteht, welches höher wiegt als die Berufung auf den exekutiven Kernbereich. Nun hat aber der Ausschuss Schlossgarten II bereits einen sehr konkreten Hinweis auf politische Einflussnahme auf das operative Geschäft der Polizei ergeben – zwar nicht im Schlossgarten, jedoch kurz zuvor beim Abriss des Bahnhofsnordflügels. Das ergab sich aus der Aussage des damaligen Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf, der gegen seinen Willen einer Weisung Folge leisten musste, die nach seinen Angaben von Stefan Mappus ausging. Kein Fall für einen Untersuchungsausschuss?

Beachtung nur im Ausnahmezustand

Das eigentliche Problem hinter der Debatte um den Untersuchungsausschuss liegt indes woanders. Übrigens auch nicht im Wunsch der CDU, nicht länger mit dem Mappus-Erbe konfrontiert zu werden. Der Grund für den steten Ruf nach Untersuchungsausschüssen, wie er von außen an das Parlament herangetragen wird, ist darin zu suchen, dass dem Landtag in seinem „normalen“ Arbeitsmodus nichts mehr zugetraut wird: kaum Biss, wenig Selbstbewusstsein gegenüber der Regierung, keinerlei Aufklärungswillen jenseits des Parteiinteresses. Das führt dazu, dass der Regelbetrieb des Parlaments ein Schattendasein fristet; nur der sich im Untersuchungsausschuss manifestierende Ausnahmezustand findet Beachtung.

Die Stationen der Aufklärung

Schlossgarten
Der Schwarze Donnerstag führte bereits in der vergangenen Legislatur-periode zu einem Untersuchungsausschuss, der mit der Mehrheit von CDU und FDP keinen politischen Einfluss der Regierung Stefan Mappus auf den Polizeieinsatz am 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten feststellte. Im vergangenen Dezember kam es zu einer Neuauflage: dem Untersuchungsausschuss Schlossgarten II. Daneben beschäftigt sich die Justiz mit den Vorgängen. Derzeit müssen sich zwei Polizeiführer wegen des Wasserwerfereinsatzes vor dem Landgericht verantworten. Einige Polizisten wurden bereits verurteilt.

EnBW
Der Rückkauf des Energieversorgers EnBW führte ebenfalls zu einem Untersuchungsausschuss. Der Landesrechnungshof gelangte überdies zu dem Ergebnis, dass bei dem Deal gegen die Landeshaushaltsordnung verstoßen wurde. Der Staatsgerichtshof rügte die Ausschaltung des Landtags.