Vom Kraftwerksturm der EnBW im Marbacher Technologiepark lohnt sich ein Blick in die Ferne. Dabei ist der Koloss nur dazu dazu da, um Spitzenzeiten im Stromnetz abzudecken – und rechnet sich für das Unternehmen nicht.

Marbach - Die Anfrage, den EVS-Turm erklimmen zu dürfen, löst bei der Belegschaft im Marbacher Kraftwerk eher Schmunzeln aus. Denn die Elektrizitätsversorgung Schwaben EVS gibt es schon seit Jahren nicht mehr. Seit 2001 heißt das Unternehmen EnBW, unter dessen Dach sind außer der EVS auch die früheren Neckarwerke, die TWS und die Baden-Werke vereint.

 

Die Bezeichnung EVS-Turm hat sich in Marbach aber hartnäckig gehalten. Und auch im Kraftwerk steckt noch EVS: Auf ein paar Ordnern in der technischen Zentrale prangt das alte Logo, und auch das eine oder andere Teil ist noch aus EVS-Zeiten – vom Bürostuhl bis zum Bildschirm. Dennoch: „Die Technik ist aktueller Stand“, sagt die EnBW-Pressesprecherin Angela Brötel. „Auch, wenn’s altbacken aussieht.“

Den Turm im wahren Wortsinn zu erklimmen ist übrigens auch nicht möglich. Wozu gibt es einen Aufzug? Der zeigt keine Stockwerke an, sondern Meterangaben. „Das ist in einem Kraftwerksturm praktischer“, erklärt der Schichtleiter Werner Groß. Ganz bequem geht es also in luftige Höhe – wobei: so luftig fühlt es sich erst einmal gar nicht an. Oben im Kraftwerk ist es ordentlich warm. Zum Glück ist es gerade nicht in Betrieb. „Dann hätte es um die 50 Grad Celsius“, sagt Roland Tscharf, der Produktionskoordinator für die Kraftwerke Marbach, Walheim und Heilbronn.

Allein der Brennkessel ist 78 Meter hoch

Mollig warm ist es dennoch auf 60 Metern, von wo aus es dann tatsächlich noch zu Fuß weitergeht. Über knapp 100 Stufen geht es auf eine Plattform in 80 Metern Höhe. Darüber sind jetzt nur noch der Kamin – weitere 80 Meter hoch – und ein paar Wölkchen am Himmel. Drunten erstreckt sich das Ländle: Im Norden Benningen, im Nordosten Marbach und die Schillerhöhe, dazwischen der Neckar, der sich an der Schleuse teilt, Ludwigsburg im Süden, dazu Weinberge im Westen. Außer einer guten Aussicht gibt es auf der Plattform eigentlich wenig zu entdecken – aber keinesfalls nichts. Eine rote Lampe ziert die Brüstung. Das sei eine Flugwarnleuchte, sagt der Schichtleiter Werner Groß. Weitere Lampen sind ganz oben am Kamin auf 160 Metern Höhe angebracht. Und dann sind da noch die Wanderfalken, die zwischen den beiden Plattformen auf der dem Neckar abgewandten Seite wohnen.

Dass sich Falken bei dem Energieunternehmen niederlassen, sei gar nicht so überraschend, sagt Angela Brötel. „Wir haben auf allen unseren Türmen Falken. Sie mögen die Höhe der Anlagen.“ Außerdem werden sie liebevoll umsorgt. Die Kraftwerks-Mitarbeiter beobachten die Vögel genau. „Wenn die brüten, geht da keiner hoch“, sagt Roland Tscharf. Und auch, wenn etwa ein neuer Anstrich am Turm ansteht, „richten wir uns nach den Familienzeiten der Tiere“.

Genau unter der Plattform ist der Brennkessel, 78 Meter hoch und 5000 Tonnen schwer. Drinnen brennt es auf mehreren Ebenen, um Dampf und damit Strom zu erzeugen. Wenn es brennt. Denn das tut es nicht allzu oft. Das vergangene Jahr sei „ein gutes Jahr“ gewesen, sagt Roland Tscharf, mit 200 bis 300 Betriebsstunden. Dieses Jahr – bedingt durch den milden Winter – bringt es Marbach bisher gerade mal auf fünf Einsätze.

Das Kraftwerk ist nur in Betrieb, wenn es anderswo klemmt

Das liegt daran, dass es sich um ein reines Spitzenlastkraftwerk handelt, also nur dann in Betrieb geht, wenn es klemmt. Wenn also eine andere Anlage ausfällt oder der Strombedarf sehr hoch ist – oder beides. Beispielsweise war das am 5. Februar 2013 der Fall. „Eine ganz besondere Situation“, erinnert sich Angela Brötel. „Wir hatten ja einen sehr kalten Winter, da wird grundsätzlich viel Strom benötigt, zusätzlich war es an diesem Tag windstill, es liefen also keine Windkraftanlagen, und es war nebelig.“ Damit war Strom durch Fotovoltaik auch nicht zu haben. Zu allem Überfluss war eines der größeren Kraftwerke in Deutschland nicht am Netz. Dafür aber Marbach mit seiner Gasturbine und dem Dampfblock.

Eine Herausforderung in Sachen Strom sind aber nicht nur kalte Winter. Auch die Fußball-Weltmeisterschaft konnte Spitzenlasten verursachen. Und zwar speziell in der Halbzeitpause oder vor dem Elf-Meter-Schießen: der Kühlschrank wird geöffnet oder das Licht auf der Toilette wird angeknipst. Angela Brötel: „Wenn das ein paar Millionen Fußballfans gleichzeitig machen, kommt da was zusammen.“

Trotz allem WM-Fieber musste Marbach allerdings während der Spiele aus Brasilien nicht ans Netz. Geschafft hätten es Werner Groß und seine Mitarbeiter aber, sie halten das System startklar. Die Gasturbine ist innerhalb von acht Minuten auf Volllast und liefert dann rund 80 Megawatt Leistung, schaltet man den Dampfblock dazu, dauert es eine Stunde, bis er mit weiteren 250 Megawatt am Netz ist.