Für den Bundestrainer Joachim Löw verkörpert Marco Reus das Ideal eines modernen Offensivspielers. Den entsprechenden Beweis lieferte der Dormunder beim 2:0-Sieg in Georgien.

Tiflis - Am Ende des Abends verlieren die kräftigen Männer in den leuchtstiftgelben Westen dann doch noch die Geduld. Verhältnismäßig sanft haben sie zuvor das halbe Dutzend Flitzer, das sich zur Freude des Publikums während des 2:0-Siegs der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Georgien unerlaubt Zutritt auf den Rasen verschafft hatte, wieder vom Spielfeld geleitet. Der siebte aber wird weit nach dem Schlusspfiff von einem der Ordner mit einer resoluten Beinschere von hinten zur Strecke gebracht.

 

Joachim Löw fand es von Anfang an nicht besonders lustig, dass permanent Zuschauer auf den Platz des Dynamo-Stadions von Tiflis stürmten. „Einfach nur störend“ seien die Flitzer gewesen, „so etwas wünscht man sich nicht“, sagt der Bundestrainer nach dem Spiel – findet ansonsten aber auch gute Gründe, ein zufriedenes Fazit der weiten Reise nach Vorderasien zu ziehen: „Wir haben das Spiel klar dominiert, hatten es absolut im Griff und haben hochverdient gewonnen.“

Es war in der Tat ein zwar nicht glanzvoller, aber insgesamt sehr souveräner Auftritt, mit dem die DFB-Auswahl nach den enttäuschenden letzten Spielen wieder Kurs auf die Europameisterschaft 2016 in Frankreich genommen hat. Erstmals seit dem WM-Finale in Rio hatte Löw wieder alle seine besten Spieler dabei. Und erstmals zeigte der Weltmeister in dieser EM-Qualifikation, dass sich niemand Sorgen machen muss, wenn sich die Mannschaft entschließt, ernst zu machen.

Gewaltiges spielerisches Potenzial

Sehr konzentriert stand die DFB-Elf in der Defensive – und erinnerte in der Offensive wieder einmal daran, über welche gewaltigen spielerischen Möglichkeiten sie verfügt. Zumindest in der ersten Halbzeit kombinierten sich Deutschen mit rasantem Kurzpassspiel regelmäßig vors georgische Tor – dass bis zur Pause nur zwei Tore fielen, war der einzige Schönheitsfehler.

Bei den Georgiern standen „neun Leute wie im Feldhandball um den eigenen Strafraum“, sagt Löw – eine Spielweise die der Freiburger Fußballästhet mindestens so ärgerlich findet wie umher rennende Flitzer. Doch hat sich der Bundestrainer schon länger daran gewöhnen müssen, dass sich die meisten Gegner nur vor dem eigenen Tor verbarrikadieren, wenn es gegen Deutschland geht. Auch der nächste Gegner Gibraltar (13. Juni) wird so vorgehen, die Teams aus Schottland oder Irland dürften im Herbst allenfalls gelegentlich kontern. Nur neun Tore hat die DFB-Auswahl in den bisherigen fünf Qualifikationsspielen erzielt. Auch deshalb hat es Joachim Löw seiner Mannschaft für die nächsten Monate zur Aufgabe gestellt, „mehr Lösungen in der Offensive zu finden“.

Eher distanziert äußerte sich der Bundestrainer vergangene Woche über eine mögliche Rückkehr von Mario Gomez. Der frühere Stuttgarter habe „nach wie vor großartige Fähigkeiten im Strafraum“, er sei „immer noch irgendwie in unserem Blickfeld“, sagte Löw – jedoch: „Es ist wichtig, dass wir da vorne flexibel sind. Wir haben mittlerweile andere Typen.“ In einem engen Turnierspiel, in dem auch einmal die Brechstange von Nöten ist, kann ein Stoßstürmer wie Gomez sicher wichtig sein. Gegen Teams wie Georgien aber sieht Löw für dieses Stilmittel keinen Bedarf: „Da braucht man Ballzirkulation und kann nicht immer nur in die Spitze spielen.“

Die Bilanz von Reus: ein Tor, zweimal Latte

Auch deshalb freute sich Löw ganz besonders darüber, dass sich Marco Reus nach seiner Verletzung wieder zurückgekämpft hat. Mit seiner brillanten Technik, seiner Schnelligkeit und seinem Torabschluss verkörpert der Dortmunder für Löw so etwas wie das Ideal eines modernen Angriffsspielers. „Mit ihm ist unser Spiel gefährlicher und variabler“, sagt der Bundestrainer über den großen WM-Pechvogel, der in Georgien die 1:0-Führung erzielte und zweimal die Latte traf.

An der Seite von Reus spielte auch Mario Götze, einer der anderen Filigrantechniker, wieder etwas auffälliger. „Wir verstehen uns einfach gut“, sagt der Münchner, das gelte aber auch für das Zusammenspiel mit Thomas Müller und Mesut Özil: „Wir haben in der Offensive enorme Möglichkeiten“, findet Götze, „man hat gesehen, dass wir auf dem Platz viel Spaß hatten.“ Marco Reus ist der Spaß hinterher jedoch nicht mehr anzusehen – wortlos verlässt der Gewinner des Abends das Stadion.

Ausgiebig feiern lässt sich dafür der so rüde zu Fall gebrachte Flitzer aus Tiflis. Auch sechs strenge Ordner und ein vermutlich schmerzendes Sprunggelenk halten ihn nicht davon ab, jubelnd ins verbliebene Publikum zu winken.