Die Band Marillion hat im Stuttgarter LKA ihr Songbuch geöffnet. Sie ist heute kritischer und auch ein wenig düsterer – aber – und das ist das wirklich Bestechende – sie sind nach wie vor relevant.

Stuttgart - Gänzlich wohl haben sich Marillion im Progrock-Korsett ihrer ganz frühen Jahre nie gefühlt. Von wenig schmeichelhaften Zeitzeugen als die „zweitbesten Genesis aller Zeiten“ betitelt, etablierten die Briten in den Jahren nach der Gründung 1979 eine Art Neo-Prog, der sich erst mit dem Ausstieg des voluminösen Frontmanns Fish 1988 langsam öffnete. Da hatten sie ihren Höhepunkt bereits hinter sich – unwissend natürlich: 1985 erscheint die Single „Kayleigh“, eine pathetische Ballade, die schnell – und ein kleines bisschen unfreiwillig – zum größten Erfolg der Band wurde, weltweit populär und für viele bis heute gleichbedeutend mit Marillion.

 

Im LKA zeigen der Sänger Steve Hogarth, seit 1989 im sehr stabilen Bandgefüge, und seine Musiker, dass die Reduzierung der Band auf diesen Schmachtfetzen ein Fehler ist. Sicher, die Band spielt „Kayleigh“ auch an diesem Abend, wenig überraschend platziert im zweiten und letzten Zugabenblock. Das mag heißen, dass sie sich der Bürde dieses Liedes bewusst sind; sie lassen sich aber nicht von ihm beherrschen. Klanggewaltig und druckvoll goutiert die Band ihr bald vierzigjähriges Oeuvre, lässt alle Perioden zum Zug kommen und verdeutlicht gleich mit dem einleitenden Opus „The invisible Man“, dass es keine abgehalfterte Nostalgieparade wird. Ein gut zwölfminütiges Stück zum Auftakt, dramaturgisch fordernd und musikalisch beeindruckend – das traut sich nicht jeder.

Der gitarrespielende Bandgründer Steve Rothery darf sich ebenso liberal austoben wie der Keyboarder Mark Kelly, der Bassist Pete Trewavas oder das Drumgenie Ian Mosley, stets finden sie jedoch zurück den Weg ins große Ganze. Rund tausend Besucher sind gekommen, viele in Marillion-Shirts und überwiegend in der Altersklasse, die dem Aufstieg dieser Band leibhaftig beigewohnt hat. Sie sehen eine Band, die richtig Lust hat und in ausgezeichneter Form ist. Bemerkenswert durchaus auch, dass neuere, eher maue Stücke wie „Quartz“ oder „Neverland“ in der aktuellen Live-Fassung deutlich näher am warmen Sound der frühen Tage sind. Da wurde richtig Mühe in die Arrangements gesteckt – auch etwas, was heute nicht mehr selbstverständlich ist. Kritischer und auch ein wenig düsterer sind diese neuen Marillion. Aber – und das ist das wirklich Bestechende – sie sind nach wie vor relevant.