Mario Gomez spielt beim FC Bayern nicht nur wegen seiner vielen Tore eine großartige Saison. Doch kaum einer würdigt es.

Sport: Carlos Ubina (cu)

München - Es ist lange her, dass sich ein deutscher Torjäger an die 30-Treffer-Marke herangepirscht hat. Karl-Heinz Rummenigge hat einmal mit 29 Toren in einer Bundesligasaison daran gekratzt, als sich der heutige Vorstandschef des FC Bayern noch durch die Abwehrreihen der Gegner dribbelte - vor 30 Jahren.

 

In der Liste der Torschützenkönige muss man jedoch noch ein Stück weiter zurückgehen, ehe Dieter Müller auftaucht. Dem Fußballer des 1. FC Köln gelangen in der Runde 1976/1977 34 Tore - und natürlich ist Mario Gomez mit seinen 27 Treffern noch ein gutes Stück davon entfernt. Einerseits. Andererseits ist es dem Bayern-Angreifer aber zuzutrauen, dass er am Samstag im letzten Saisonspiel gegen den VfB Stuttgart die 30 Treffer doch noch voll macht.

Serienheld im Strafraum

Fünf Dreierpacks verbucht Gomez in dieser Saison, mit dem sechsten würde er den Rekord des legendären Gerd Müller einstellen. Doch nicht nur die Zahlen sprechen für den 25-Jährigen, der in den 44 Pflichtpartien dieser Saison 38 Tore erzielt hat. Gomez hat sich vor allem sein Selbstvertrauen wieder erarbeitet, das sich in der Körpersprache ausdrückt: breite Brust, dynamischer Antritt, Entschlossenheit.

Das alles führt dazu, dass der Stürmer wieder zum Serienhelden im Strafraum geworden ist. Die Begegnung mit seinem alten Club entwickelt sich so zu einer Doppelveranstaltung: es geht um den Sieg und das Fernduell mit Bayer Leverkusen um den zweiten Tabellenplatz - und um die Torjägerkanone für den Münchner. "Ich habe aber Wichtigeres zu tun, als zu überlegen, wo ich die Kanone hinstelle", sagt Gomez.

Für Bayern gab es stets Wichtigeres als Gomez

Dennoch erfüllt es Gomez mit Stolz, den Ehrentitel des erfolgreichsten Bundesligastürmers erstmals zu erhalten. Trost für entgangene Vereinstitel bedeutet dies jedoch nicht. Zumal der Stürmer den VfB vor zwei Jahren für 30 Millionen Euro verließ, um national sowie international Meisterschaften und Pokale zu gewinnen. Nun reicht es für die Bayern bestenfalls zur direkten Qualifikation für die Champions League. Trotz der vielen Gomez-Tore.

Dass es so ist, zeigt auch, dass die Saison ein wenig ungerecht für den Stürmer verläuft. Denn Gelegenheiten, um für ihn zu schwärmen, gab es zwar genug, doch stets gab es an der Säbener Straße Bedeutsameres: Louis van Gaal und seine sture Art, die Abwehr und ihre permanenten Patzer, Arjen Robben und seine Ohrfeige für Thomas Müller, Bastian Schweinsteiger und die Chefchendebatte, die Fans und ihre Wut auf Manuel Neuer und Uli Hoeneß.

Auch gegen van Gaal hat Gomez nicht aufgegeben

Die Lobeshymnen auf Gomez wurden so immer nur angestimmt, aber nie zu Ende gesungen. Dabei hat er nicht nur seine Effektivität vor dem gegnerischen Tor wiedergefunden, sondern ebenso sein Spiel verbessert. Jetzt trifft er nicht nur mit der typischen Gomez-Wucht nach Steilpässen, sondern er macht auch Tore in Bayern-Manier: einschieben am Ende der Passkette.

Ausgerechnet so, mag sich da Louis van Gaal denken, der Gomez die Fähigkeit zum Passspieler abgesprochen hatte, und den teuersten Transfer der bayerischen Clubgeschichte demontierte. Doch Gomez hat sich der Brachialpsychologie des Niederländers zum Trotz durchgebissen. Er hat einfach nicht aufgegeben, als ihn van Gaal zu Saisonbeginn auf die Bank setzte. Er hat nicht gemurrt, als ihn die Bayern-Granden nicht zum FC Liverpool ziehen ließen. Und er war bereit, als ihn der mittlerweile geschasste Chefcoach doch in der Startelf bringen musste, weil Miroslav Klose und Ivica Olic verletzt ausfielen.

Die Skepsis einfach weggeschossen

Das war im vergangenen Herbst, und seither hat Gomez sein Louis-van-Gaal-Trauma überwunden. Wahrscheinlich ist er sogar daran gereift, so dass er jetzt nicht nur an die internationale Überfliegerklasse anklopft, sondern sein nächstes Trauma bekämpfen kann: das in der Nationalelf.

Noch immer verfolgt Gomez die Szene von der EM 2008, als er gegen Österreich aus kürzester Entfernung den Ball nicht über die Linie brachte. Er selbst habe das abgehakt, sagt Gomez. Doch im öffentlichen Gedächtnis hat sich die Einlage eingegraben. Und immer, wenn ihm etwas misslingt, dann spürt der Angreifer sofort den Unmut von den Zuschauerrängen.

In München hat Gomez diese Skepsis einfach weggeschossen, und den Beweis angetreten, dass es nach den Ausländern Luca Toni, Roy Makaay und Giovane Elber sowie den unerfüllten Versprechen Lukas Podolski und Miroslav Klose mal wieder einen deutschen Torjäger im Bayern-Trikot geben könnte. Auch das liegt lange zurück. Karl-Heinz Rummenigge hieß einer, Roland Wohlfarth ein anderer.

Hintergrund: Der Treffsichere

Torjäger Mario Gomez steht vor dem ersten Gewinn der

Torjägerkanone. Der Münchner führt die Schützenliste

einen Spieltag vor Schluss

mit 27 Toren vor Papiss Demba Cissé (SC Freiburg/22) an.

Bundesliga Torschützenkönige mit mehr Toren

als Mario Gomez:

2009 Grafite (VfL Wolfsburg): 28

2004 Ailton (Werder Bremen): 28

1981 Karl-Heinz Rummenigge (FC Bayern): 29

1977 Dieter Müller (1. FC Köln): 34

1976 Klaus Fischer (Schalke 04): 29

1974 Jupp Heynckes (M'gladbach): 30

Gerd Müller (FC Bayern): 30

1973 Gerd Müller (FC Bayern): 36

1972 Gerd Müller (FC Bayern): 40

1970 Gerd Müller (FC Bayern): 38

1969 Gerd Müller (FC Bayern): 30

1967 Gerd Müller (FC Bayern): 28

Lothar Emmerich (Dortmund): 28

1966 Lothar Emmerich (Dortmund): 31

1964 Uwe Seeler (Hamburger SV): 30