Der deutsche Altstar Marius Müller-Westernhagen hat in der Stuttgarter Schleyerhalle vor 9000 Besuchern seine Songs unplugged präsentiert. Der 68-Jährige und seine Sidemen musizieren mit sehr viel Hingabe.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Nicht gänzlich still, aber doch ein bisschen ruhiger ist es in den vergangenen Jahren um Marius Müller-Westernhagen geworden. Vor drei Jahren legte der Sänger aus Düsseldorf sein letztes Studioalbum „Alphatier“ vor, dessen Vorgänger „Williamsburg“ hat wiederum schon acht Jahre auf dem Buckel. Auf diesem im namensgebenden New Yorker Stadtteil entstandenen Album kokettierte Westernhagen schon mit der zurückgelehnten Experimentierlust eines Elder Statesman, der alle gängigen Formate bereits längst bedient hat. Und folgerichtig ist somit auch, dass Westernhagen im vergangenen Herbst in der Berliner Volksbühne ein Doppelalbum für die „MTV unplugged“-Reihe eingespielt hat, auf dem er 24 seiner Songs in Akustikversionen präsentiert.

 

Auf der dazugehörigen Tournee ist er nun am Sonntagabend in der Stuttgarter Schleyerhalle zu Gast gewesen. Das Setting ist, der Kalauer sei gestattet, ein Seating. Das Publikum wird zwar geduzt, aber die Arena ist, etwas untypisch für ein Rockkonzert, bestuhlt. Wenn die Band sitze, erklärt Westernhagen gleich in seiner ersten Ansage, habe er sich gedacht, dass auch das Publikum sitzen möge. Es sei aber bitte niemand in der Pflicht, auch zu sitzen – wer wolle, möge gerne stehen. Von dieser Möglichkeit wird im Konzertverlauf allerdings recht sparsam Gebrauch gemacht. Und das ist dem Charakter und der Atmosphäre des Abends auch angemessen.

Westernhagen im Westernhemd

Als sich der Vorhang öffnet, sitzt Westernhagen bereits auf seinem Chefsessel in der Bühnenmitte. Er trägt den gleichen breitkrempigen Hut wie auf dem CD-Cover, dazu hat sich Westernhagen für ein Westernhemd entschieden, was man wohl als gewollten Stilwillen interpretieren darf. Der Sänger spielt, wie es sich gehört, natürlich selbst Akustikgitarre, die buchstäblich treibenden Kräfte sind aber seine beiden Sidemen an den Zupfinstrumenten, die wirklich glänzend musizieren. Dennoch ist es für einen intimen Akustikabend ganz schön voll: Inklusive der vier Backing-Vokalisten befindet sich fast ein Dutzend Musiker auf der Bühne. Der Sound dazu ist entsprechend alles andere als reduziert, er ist sogar von üppiger Wucht. Aber dies ist eine offenkundig bewusste künstlerische Entscheidung Westernhagens. Und umgekehrt wäre es ja auch befremdlich, in einer Riesenarena wie der Schleyerhalle mit sehr sparsamer Instrumentierung Intimität vorgaukeln zu wollen.

Diese Arena ist sehr gut gefüllt. Neuntausend Besucher sind gekommen, fast bis ans Hallenende erstrecken sich die Stuhlreihen. Die Hochzeiten zu Beginn der neunziger Jahre, in denen Westernhagen nach Belieben alles ausverkaufte, mögen vorbei sein. Ein treues Publikum hat er aber offensichtlich noch immer.

Die großen Hits zünden noch immer

Für dieses Publikum lässt er sich nicht lumpen und präsentiert einen deutlich über zwei Stunden währenden Konzertabend. Seine größten Erfolge verteilt er dabei sorgsam über das gesamte Set. „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ kommt gleich als drittes Lied, „Es geht mir gut“ und „Weil ich dich liebe“ bald darauf, „Mit 18“ und „Sexy“ dann kurz vor den zwei Zugaben, zu deren Abschluss „Johnny Walker“ und „Freiheit“ erklingen. Es sind alles recht opulente Stücke, aber sie funktionieren auch in den Unplugged-Varianten sehr gut. Nur auf einen, seinen vielleicht größten Hit verzichtet Marius Müller-Westernhagen: auf „Dicke“. Mit dem Stück, das in den Achtzigern auf keiner Party fehlen durfte, war er schon damals nicht ganz glücklich geworden – von ihm war es als Zerrspiegel gedacht, viele empfanden es aber als diskriminierend. Nun spielt er es einfach gar nicht mehr. So kann man das Problem natürlich auch lösen.

Gepasst hätte es vermutlich ohnehin nicht zur Atmosphäre des Abends. Die nämlich ist so distinguiert, dass man sich stellenweise ein wenig mehr von jenem Westernhagen wünschen würde, der früher im Feinrippunterhemd posierte. Alle Beteiligten – „einige der weltbesten Musiker“, so Westernhagen ohne jeglichen Anflug von Bescheidenheit – spielen sich aufs Freundlichste Bälle und Komplimente zu; die anfangs in Schwarz-Weiß-Optik gehaltenen Videowände symbolisieren „wertiges“ Musikschaffen. Alle musizieren mit einer solchen Hingabe, häufig – Westernhagen eingeschlossen – mit geschlossenen Augen und so ostentativer Versunkenheitsgestik, dass es fast schon ein wenig verkünstelt wirkt.

So dick auftragen hätten sie nicht müssen, denn dieser Abend hat genug Format und steht für sich, ohne dass man dies mit dem Holzhammer des guten Geschmacks vermitteln müsste. Der mittlerweile bald 69-jährige Westernhagen ist auch optisch betrachtet gut gereift. Aber zum alten Eisen zählt er definitiv noch nicht.