Er ist einer der Größten der amerikanischen Alternative-Musikkultur. Nun hat Mark Lanegan in Stuttgart sein neues Album vorgestellt.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Am Ende schließt sich der Kreis. Als letztes Lied seines Konzerts stimmt Mark Lanegan ziemlich überraschend ausgerechnet eine Coverversion des Indie-Klassikers „Love Will Tear Us Apart“ an. Der Satz ist in den Grabstein von Ian Curtis gemeißelt, seine hinterbliebene Frau hat den Songtitel als Inschrift ausgewählt, kurz nachdem sich der Sänger von Joy Division in der Nacht vom 17. auf den 18. Mai 1980 erhängte, einen Tag vor dem Beginn einer geplanten Amerikatour seiner Band. Bald vierzig Jahre später singt Mark Lanegan dieses Stück am Dienstagabend im gut gefüllten Club des Stuttgarter Wizemann, er und seine fünfköpfige Band lassen das Lied in einem Finale mit harschen Gitarrenriffs kulminieren, und die Gedanken fliegen ein letztes Mal.

 

Wohin? Zu Ian Curtis, dem Songschreiber und seinen bis heute überdauernden Hymnen, die gewiss auch den damals sechzehnjährigen Teenager Mark Lanegan aus dem US-Bundesstaat Washington ergriffen haben. Zu Chris Cornell, dem Vorsteher der Band Soundgarden aus Seattle, Washington, der sich vor knapp zwei Monaten nach einem Konzert in Detroit zu Tode stranguliert hat. Zur Musikszene in Seattle wiederum, die sich aus dem britischen Postpunk von Bands wie Joy Division speiste, zu der etwa Pearl Jam, Mudhoney, Cornells Soundgarden und vor allen Dingen Nirvana rund um Kurt Cobain zählten, der sich wiederum 1994 erschoss.

Ein Freund der düsteren Momente

Ganz schön sinister, das Ganze. Und mittendrin in diesem Kosmos, obwohl erst Anfang fünfzig, quasi als Last Man Standing, Mark Lanegan. Und so steht er tatsächlich da, im Wizemann: wie festgenagelt an seinem Mikrofonständer, nicht wirklich gesund aussehend und sich auch keinesfalls vital gebend, die Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen, keinerlei Gefühlsregungen zeigend, gerne auch mal länger den Bühnenboden anstarrend und nur wenige Male überhaupt das Wort ergreifend. „Thank you very much“, spricht er dann in diesen Fällen, beziehungsweise er röchelt es heiser und kehlig ins Mikrofon. Was, gelinde gesagt, überrascht. Extrem ist die Diskrepanz zwischen seiner offenbar reichlich ruinierten Sprechstimme und seiner Singstimme, diesem noch immer so wunderbar sonoren, samtenen, so herrlich tiefen Bassbariton, der ihm so viele Bewunderer und Liebhaber eingebracht hat, auch und gerade unter Musikerkollegen.

Mit Kurt Cobain und Krist Novoselic von Nirvana nahm der Screaming-Trees-Gründer sein erstes Soloalbum auf, zwischendurch arbeitete er mit Mike McCready von Pearl Jam, an Lanegans zweitem Album wirkten die Jungs von Mudhoney und Dinosaur Jr mit, dann kam die Zeit mit den Queens of the Stone Age, deren Kopf Josh Homme wiederum auf Lanegans aktuellem Album zu Gast ist. Er sang mit den Gastvokalistinnen PJ Harvey und Isobell Campbell und und und: das Who’s who der Alternative-Welt zählt zu Mark Lanegans Musikerfreundeskreis. Fast schon tragisch könnte man es nennen, dass ausgerechnet ihm zwar stets viel Zuspruch entgegengeschlagen, der große künstlerische (und auch kommerzielle) Erfolg jedoch verwehrt geblieben ist.

Konstanter Zuspruch

Rund vierhundert Besucher sind ins Wizemann gekommen, das ist nicht über die Maßen viel und entspricht dem Zustrom zu seinem letzten Gastspiel vor knapp zwei Jahren im Universum. Weder mehr noch weniger, so hat sich das wohl eingependelt, trotz seines neuen Albums „Gargoyle“. Mit dessen Titeltrack „Death’s Head Tattoo“ beginnt Lanegan den Abend, seine Stimme ist das ganze Konzert über etwas zu leise ausgesteuert, der Sound seiner Band – in der dezent im Hintergrund auch Duke Garwood werkelt – klingt jedoch auf eine interessante Art druckvoll. Er ist zwar verwaschen-rotzig, wie man es auch von Lanegans Einspielungen gewohnt ist, hat aber eine gut geerdete, stimmige Balance; insbesondere das Livekeyboard verleiht dem Klang eine Note, die eher an alte Achtziger-Wave- und Indiezeiten denken lässt als an zentnerschwer donnernde Grunge- oder Stonerrocknummern.

So tanken sich der Sänger und seine Band durch das breite Repertoire, das mehrheitlich aus Lanegans düsteren Balladen und Moritaten besteht. Sie bieten einiges vom neuen Album, dazu ältere Glanzlichter wie das wunderschöne „Hit The City“ und zur kurzen Zugabe schließlich – wie erwähnt – „Love Will Tear Us Apart“, die Reminiszenz an noch so einen Großen aus der großen weiten Alternative-Welt.

Unspektakulär, aber doch sehr schön ist das alles, weder wird man diesen Auftritt im Stuttgarter Wizemann jahrzehntelang in Erinnerung behalten noch sich auch nur eine Sekunde über den Besuch grämen. Dafür singt Mark Lanegan, stimmlich gewiss einer der Besten seines Fachs, noch immer zu gut. Dafür ist auch das Songmaterial noch immer zu gehaltvoll. Und die Erinnerungen an längst vergangene Zeiten, die Lanegan stets so schön mit düsterer Kraft in Erinnerung ruft, die kann einem sowieso niemand mehr nehmen.