Seit der Verfilmung seines Thrillers „Gorki Park“ ist der Autor Martin Cruz Smith eine Nummer im internationalen Krimigeschäft. Auch in seinem jüngster Roman „Tatjana“ hat die bleierne Zeit in Russland noch lang kein Ende –der Ermittler Arkadi Renko kommt den Bösen dennoch auf die Schliche.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Arkadi Renko macht weiter. Immer weiter. Seit er um das Jahr 1980 herum das (erfolgreich verfilmte) Rätsel der drei gesichtslosen Leichen im Gorki Park gelöst hat, begleitet er als Ermittler die Agonie des Sowjetreiches und die sich anschließenden Jahre der Herrscher Jelzin und Putin mit all ihren Begleiterscheinungen: Korruption, Kriminalität, Armut, Oligarchie. Mit dem achten Band, „Tatjana“, ist der Autor Martin Cruz Smith in einer Moskauer Gegenwart angekommen, die kein bisschen hoffnungsfroher ist als die Umstände seiner anderen Renko-Romane.

 

Der Ermittler - alt geworden, verwitwet, versehrt - interessiert sich allen Warnungen und Behinderungen zum Trotz für den Tod der bekannten Journalistin Tatjana Petrowna, die vom Balkon ihres Hochhauses gestürzt ist. Die Petrowna war eine Galionsfigur der freien Presse, entsprechend groß war in Politiker-, Militär- und Mafiakreisen das Interesse an ihrem Tod. Doch nicht nur die Journalistin stirbt, sondern auch ein führender Mafioso wird erschossen. Und was hat das mit der Leiche eines Schweizer Dolmetschers zu tun, die vor den Toren Kaliningrads gefunden wird?

Ein unterspültes Haus

Wie schon in den vorangegangenen Arkadi-Renko-Romanen schafft Cruz Smith eine dichte Atmosphäre der russischen Verhältnisse. Ein Monsterbau dient ihm gewissermaßen als Gleichnis: Das zwanzigstöckige „Haus der Sowjets“, auf Stalins Befehl an der Stelle des zerbombten Königsberger Schlosses errichtet, hat noch vor seiner Fertigstellung begonnen zu versinken, weil das Fundament unterspült ist – „es wurde nie benutzt, keinen einzigen Tag“, heißt es im Roman. Und weil die Partei kein Geld für einen Abriss hat, steht der riesige Kasten leer: „Als Putin zu Besuch kam, haben sie es einfach blau angestrichen und so getan, als wäre es nicht da.“

Und auch sonst sind es wieder die Details, die neben der spannungsvoll ausgearbeiteten Detektivgeschichte den Reiz des Buches ausmachen: die sachte angedeutete Hoffnung, dass mit der heranwachsenden Jugend doch noch etwas besser werde (Renkos Ziehsohn Schenja und dessen Freundin Lotte liefern die entscheidenden Hinweise zur Lösung des Falls). Die Absurdität des Daseins (in einer Rückblende wird geschildert, wie Renkos Frau wegen eines Missverständnisses in ärztlicher Behandlung starb). Und der grimmige Humor, mit dem Cruz Smith seinen Helden ausgestattet hat: Als eine Ärztin ihn wegen eines Jahre alten, inoperablen Projektils in seinem Kopf untersucht und ihn aufklärt, dass eine Bewegung der Geschossteile zu Persönlichkeitsveränderungen führen könne, sagt Renko nur: „Damit kann ich leben. Vielleicht kommt sogar etwas Besseres dabei heraus.“ Und greift zu Aschenbecher und Zigarette.

Martin Cruz Smith: „Tatjana“. Roman. Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle. C. Bertelsmann, München. 320 Seiten, Broschur. 14,99 Euro. Auch als E-Book, 11,99 Euro.