Die 55-jährige Professorin für Internationalen Agrarhandel und Welternährungswirtschaft der Uni Hohenheim ist nach einstimmiger Nominierung zur Vorsitzenden des Wissenschaftsrats gewählt worden.

Stuttgart - Die neue Vorsitzende des Wissenschaftsrats heißt Martina Brockmeier. Die Professorin für Internationalen Agrarhandel und Welternährungswirtschaft der Uni Hohenheim wurde am Freitag von den Mitgliedern des Wissenschaftsrats in ihr neues Amt gewählt. Damit wird die 55-Jährige Einfluss darauf nehmen, wie Wissenschaft und Forschung in Deutschland strukturiert werden und Hochschulen sich strategisch so aufstellen, dass sie international wettbewerbsfähig sind. Brockmeier löst am 1. Februar den bisherigen Amtsinhaber und Bildungsforscher Manfred Prenzel von der TU München ab. Ihre Amtszeit beträgt zunächst ein Jahr.

 

Der Hohenheimer Unirektor Stephan Dabbert gehörte zu den ersten Gratulanten: „Die Wahl von Frau Brockmeier zur Vorsitzenden des Wissenschaftsrats freut mich sehr.“ Denn somit nehme die Hohenheimer Professorin „eine absolute Topposition im wissenschaftspolitischen Bereich“ ein. Martina Brockmeier weiß, was auf sie zukommt, denn sie wurde bereits im Jahr 2014 in den Wissenschaftsrat berufen und ist seit 2016 stellvertretende Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission dieses Gremiums und Vorsitzende des Forschungsausschusses. Im Gespräch mit dieser Zeitung machte sie deutlich: „Ich bin nicht als Vertreterin meines Fachs für den Wissenschaftsrat nominiert worden, ausschlaggebend ist ein Systemblick und strukturelles Denken.“ Diesen speziellen Blick habe sie sich auch durch ihre acht Jahre in der Senatskommission Evaluierung der Leibniz-Gemeinschaft, aber auch während ihrer achtjährigen Mitgliedschaft im Fachkollegium Agrar-, Forstwissenschaften, Gartenbau und Tiermedizin der Deutschen Forschungsgemeinschaft angeeignet. Und in den drei Jahren als Dekanin der Fakultät Agrarwissenschaften in Hohenheim. Diesen Blick, der immer auf die Strukturen gerichtet ist, aufs Ganze – mit dem Ziel, das System wissenschaftspolitisch so gut wie nur möglich aufzustellen. „Damit es dazu beiträgt, dass die Gesellschaft sich weiterentwickeln kann“, sagt Brockmeier.

Begeistert vom anderen Blick

Nun also wird sie daran als Vorsitzende des Wissenschaftsrats arbeiten. Dieser, so schwärmt die Professorin von dem hochkarätig und mit verschiedenen Disziplinen besetzten Gremium, „ist was ganz Besonderes“. Sie erklärt das so: „Ich habe selten mit so vielen faszinierenden Persönlichkeiten zusammengearbeitet, aus unterschiedlichen Disziplinen, die ganz neue Facetten aufzeigen – anders als ich selbst denke, aber genauso wichtig“. Und gerade durch das Miteinander dieser unterschiedlichen Perspektiven finde man ganz neue Lösungen. „Das ist das Interessante“, sagt sie. „Insofern bringe ich meine Disziplin ein, und das Denken in meiner Disziplin – aber nicht als Agrarökonomin.“ Es klingt sehr viel Wertschätzung mit, wenn Martina Brockmeier über die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz Deutschland spricht, mit denen sie – künftig als Prima inter Pares – Konzepte entwickelt, die dann im gemeinsamen Ringen mit Ministern und Staatssekretären aus den Regierungen des Bundes und der Länder in gemeinsame Beschlüsse münden. Sei es zur Internationalisierung, sei es, wie vor Kurzem, zum Transfer von Wissenschaft in die Gesellschaft. Dies nach außen zu vertreten, aber auch in die Wissenschaft hinein ist nun die neue Aufgabe der Professorin. Sie selbst formuliert es bescheiden: „Ich bin Sprachrohr.“

Und wie wird Brockmeier ihren Job als Vorsitzende ausgestalten? „Ich habe mir das Thema Begutachtungswesen auf die Fahnen geschrieben“, sagt sie. „Begutachtung beispielsweise von Forschungsanträgen hat dazu beigetragen, dass die Qualität in der Wissenschaft gesteigert werden konnte.“ Es sei auch gut gewesen, dass Begutachtung von Wissenschaftlern organisiert wurde. Aber im Lauf der Zeit hätten sich Ungleichgewichte in der Arbeitsverteilung und Belastung entwickelt. Manche Kollegen machten viel mehr Gutachten als andere. Nun gehe es darum, eine Struktur zu entwickeln, die dazu beitrage, auch jüngere Leute stärker zu integrieren und den Prozess insgesamt effizienter zu gestalten.

Dahinter stehe die Überlegung, dass Hochschullehrer einen gewissen Teil ihrer Zeit für Begutachtung einsetzen können – „den können sie dann aber nicht mehr für die Lehre oder für die Forschung einsetzen“, erklärt Brockmeier. „Es geht darum, die Ressource Zeit so gut wie möglich einzusetzen.“ Für eine Optimierung solcher Abläufe erarbeitet sie mit ihren Kollegen Empfehlungen. Was ihre Agenda sein wird, das werde sich wohl im ersten Jahr ihres Vorsitzes herauskristallisieren, meint Brockmeier.

Ihre Doktoranden betreut sie noch

An der Uni Hohenheim ist die Professorin beurlaubt. „Sonst könnte ich das nicht leisten“, sagt sie mit Blick auf ihre neue, anspruchsvolle Aufgabe. „Das ist der Preis, den ich bezahle.“ Für die Lehre habe sie schon zuvor leider keine Zeit mehr gehabt. Nur ihre Doktoranden – vor allem Frauen –, die betreut sie weiter. Ist ihr bewusst, dass sie damit und mit ihrer steilen wissenschaftlichen Karriere ein wichtiges Vorbild ist, insbesondere für Frauen, die im Wissenschaftsbetrieb doch immer noch häufig das Nachsehen haben? Welche Wissenschaftlerin hat schon die Möglichkeit zum direkten Austausch mit der Bundeskanzlerin? Brockmeier räumt ein: „Ich bin oft die erste Frau gewesen“ – sei es im Hohenheimer Dekanat der Agrarwissenschaften, sei es in Braunschweig als Direktorin des Instituts für Marktanalyse und Agrarhandelspolitik im Thünen-Institut. Im Wissenschaftsrat sei die Wissenschaftliche Kommission zu 53 Prozent mit Frauen besetzt, beim Vorsitz habe es dort sogar schon eine weibliche Doppelspitze gegeben. „Frauen“, sagt Brockmeier, „sind im Wissenschaftsrat immer ein wichtiges Querschnittsthema.“

Im Dienst der Wissenschaft

Lebenslauf:
Martina Brockmeier wurde 1961 in Osnabrück geboren. Sie studierte und promovierte an der Uni Gießen in Ernährungsökonomie und habilitierte sich an der Justus-Liebig-Universität Gießen über ein Habilitationsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Nach Forschungsaufenthalten in den USA und Australien erhielt sie einen Ruf an das Thünen-Institut in Braunschweig, wo sie von 1999 bis 2009 das Institut für Marktanalyse und Agrarhandelspolitik leitete.

Uni Hohenheim: 2009 erhielt sie einen Ruf an die Uni Hohenheim, wo sie den Lehrstuhl für Internationalen Agrarhandel und Welternährungswirtschaft des Instituts für Tropische Agrarwissenschaften leitete und auch zwei Jahre Dekanin der Agrarwissenschaften war. 2001 bis 2009 engagierte sie sich im Senatsausschuss Evaluierung der Leibniz-Gemeinschaft, 2010 nominierte sie die DFG für Academia Net, einer Datenbank für exzellente Wissenschaftlerinnen, 2008 bis 2016 engagierte sie sich als Fachkollegiatin in der DFG. 2014 wurde sie in den Wissenschaftsrat berufen, seit 2016 war sie Vize in dessen Wissenschaftlicher Kommission. Am 1. Februar wird sie Vorsitzende des Wissenschaftsrats.

Gremium: Der Wissenschaftsrat berät die Regierungen des Bundes und der Länder in Fragen zu Inhalt und Struktur von Hochschulen, Wissenschaft und Forschung. Und er vermittelt: zwischen Wissenschaft und Politik und zwischen Bund und Ländern. Sein Sitz ist in Berlin, die Geschäftsstelle in Köln. Der Wissenschaftlichen Kommission gehören 24 Wissenschaftler und acht Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens an, die vom Bundespräsidenten berufen werden. Die Verwaltungskommission besteht aus 22 Mitgliedern aus Bund und Ländern. Die Vollversammlung beschließt jährlich das Arbeitsprogramm, Kommissionen und Vollversammlung treffen sich viermal im Jahr. Empfehlungen und Stellungnahmen des Wissenschaftsrats werden veröffentlicht.