Sie ist Philosophin, Unternehmerin und die interessanteste Geschäftsfrau der USA: Martine Rothblatt hält nichts von biologischen Beschränkungen, welcher Art auch immer. Ihre erste Milliarde hat sie als Mann verdient.

Los Angeles - Martine Rothblatts Erscheinungsbild erinnert ein wenig an David Bowie. Sie ist groß gewachsen und schlank und trägt gern elegante Anzüge mit offenen Hemdkragen. Das Haar ist streng zurück gekämmt, die kantigen, ungeschminkten Gesichtszüge strahlen beinahe antike Schönheit aus.   Das androgyne Auftreten der Unternehmerin aus Kalifornien ist kein Zufall. Rothblatt ist als Mann aufgewachsen. Als sie ihre Geschlechtsumwandlung vollzog, war sie fast vierzig und hatte bereits ein Vermögen verdient.

 

Doch so richtig als Frau fühlt sich Martine Rothblatt, geboren 1954 in Chicago als Sohn jüdischer Eltern und aufgewachsen in San Diego und Los Angeles, noch immer nicht. Vielmehr nimmt sie einen Platz zwischen den eindeutigen Gender-Identitäten ein. „Die Aufteilung der Welt in Männer und Frauen sollte abgeschafft werden“, findet sie, die Grenzen müssten viel fließender sein.   Schließlich gebe es auf der Welt „genauso viele sexuelle Identitäten wie es Menschen gibt“.  

Eine veritable amerikanische Erfolgsstory

Rothblatts progressive Haltung zu ihrer sexuellen Identität ist allerdings auch irgendwie ein Verlust für die Frauenbewegung. Denn eigentlich könnte Martine Rothblatt trefflich zum Vorbild und Rollenmodell nicht nur für amerikanische Frauen dienen. Sie ist die erfolgreichste Managerin in den USA, ihr Einkommen von 38 Millionen Dollar pro Jahr liegt deutlich über dem so prominenter Firmenleiterinnen wie Marissa Meyer von Yahoo oder Meg Whitman von Hewlett Packard. Rothblatts Geschichte ist eine veritable amerikanische Erfolgsstory.  

Doch Martine Rothblatt weist alle Versuche, ihr die Funktion einer Identifikationsfigur zuzuweisen, weit von sich. „Ich kann nicht behaupten, dass das, was ich erreicht habe, mit dem vergleichbar ist, was andere Frauen erreicht haben. Ich war die Hälfte meines Lebens ein Mann.“  

Mit einer bahnbrechenden Idee zum Milliardär

Tatsächlich hat Rothblatt ihre erste Milliarde als Martin Rothblatt verdient. Es war Mitte der achtziger Jahre, als der damalige Rechtsanwalt, interessiert an Astronomie und spezialisiert auf die Fernsehindustrie, eine bahnbrechende Idee hatte. Wie wäre es wohl, dachte er sich, wenn alle Autos über eine kleinen Satellitenschüssel verfügten, mit deren Hilfe der Fahrer jederzeit seine Position bestimmen kann? Aus der Idee wurde Geostar, das erste GPS-System der Welt. Und daraus wiederum erwuchs der Gedanke für das Satellitenradio Sirius, das Rothblatt kurze Zeit später in die Welt rief.   Rothblatt war die beiden Projekte mit dem unbekümmerten Unternehmergeist und dem grenzenlosen Optimismus angegangen, der bis heute das Silicon Valley auszeichnet. Bei einer Reise auf die Seychellen als Student hatte Rothblatt an einem Luftwaffenstützpunkt von einem Freund gezeigt bekommen, wie die Nasa ihre Satelliten leitet und koordiniert. Das Erlebnis weckte eine Vision in ihrem Kopf, eine Vision von der globalen Vernetzung der Menschheit via Satellit.     30 Jahre später ist die globale Vernetzung Realität. Eine Tatsache, die Rothblatt in ihrem grenzenlosen Glauben an das Potenzial von Wissenschaft und Technologie nur bestärkt hat. Rothblatt, promoviert in Medizinethik, ist von einer schönen neuen Welt überzeugt, in welcher der Mensch sich selbst und seine Umwelt komplett neu erschaffen kann.  

Ein Wesen ohne Geschlechtergrenzen

Sich selbst hat Rothblatt ja bereits neu erschaffen – als Wesen, wie sie glaubt, das die Geschlechtergrenzen hinter sich gelassen hatt. „Genitalien sind genauso irrelevant wie die Hautfarbe“, sagt sie. Doch die Geschlechtergrenze ist nicht die einzige, die Rothblatt für überholt hält.  Sie ist Vertreterin des Transhumanismus –   einer kalifornischen Bewegung, die daran glaubt, dass wir mit Hilfe der Technik unsere biologischen Beschränkungen überwinden können. In der transhumanistischen Zukunft gibt es keine Krankheiten und kein Alter mehr. Nicht einmal sterben müssen wir noch.  

Die Ehefrau als Roboter

Diesen Marsch in die Unsterblichkeit hat Rothblatt bereits angetreten. In Vermont steht ein Roboter, der den Geist und die Seele ihrer Ehefrau Bina Aspen, die sie vor 32 Jahren – noch als Mann – geheiratet hat, auf seiner Festplatte gespeichert hat. Wenn das Experiment gelingt, dann soll es möglichst global Schule machen: Rothblatt sieht eine Zukunft, in der die gesammelten Bewusstseinsinhalte der Menschheit auf Server geladen werden und das biologische Leben auf Erden überflüssig machen. Bis dahin ist es freilich noch weit. Die künstliche Bina kann trotz einem riesigen Datenspeicher aus den Erinnerungen und Gedanken der echten Bina noch kaum einen kohärenten Gedanken formulieren.

Schon längst Realität ist hingegen Rothblatts Businessimperium, zu dem neben Sirius auch eine Pharmafirma gehört, die sie gegründet hat und an der sie 7,5 Prozent Anteile besitzt. United Therapeutics sollte eine seltene Atemwegserkrankung ausrotten, von der Rothblatts Tochter betroffen war. Das gelang zwar bisher nicht, aber immerhin entwickelte man einige Medikamente, um die Symptome zu lindern. Doch die Kapitalisierung des Unternehmens beruht noch immer auf dem Versprechen eines großen Durchbruchs. Und Martine Rothblatts Salär ist fix an den Börsenkurs geknüpft. So fügen sich die große philosophische Vision und das Marketing trefflich zusammen. Es ist der kalifornische Weg, und es gibt wohl kaum jemanden, der ihn so repräsentiert wie Martine Rothblatt.