Die Berliner Band Mas Shake um den Die-Ärzte-Bassisten Rod Gonzalez will an den uruguayanischen Beatles-Abklatsch Los Shakers erinnern. Doch der Auftritt im Stuttgarter Club Goldmark's ist mehr als eine Sechziger-Revue. Sie ist eine Identitätssuche zwischen Valparaíso und Berlin.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Das Konzept von Mas Shake muss man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen: Die Berliner Band ist inspiriert von der Gruppe Los Shakers aus Montevideo, die in den Sechzigern in ihrer Heimat Uruguay Teil der südamerikanischen Beat-Bewegung war. Los Shakers und deren Szenekollegen wiederum waren von den Beatles beeinflusst - musikalisch, frisuren- und kleidertechnisch.

 

Diese besondere Art der musikalischen Flüsterpost - von London nach Montevideo nach Berlin, vierzig Jahre später - lässt mehr oder weniger offen, wie ein Mas-Shake-Konzert ablaufen könnte. Zumal immer damit gerechnet werden muss, dass sich auch Die-Ärzte-Fans im Publikum befinden. Die haben mit südamerikanischem Beatles-Abklatsch nun rein gar nichts gemein, aber Mas-Shake-Sänger Rodrigo González ist gleichzeitig auch Die-Ärzte-Bassist. Und echte Fans gehen ja wohl auch zu Nebenprojekten ihrer Helden steil.

In der Tat erblickt man in den vordersten Reihen des gut gefüllten Goldmark's manche Fan-Insignien bis hin zum tätowierten Bandschriftzug auf voller Schulterbreite. Vor allem aber sind Beat-Fans gekommen, die wiederum große Schnittmengen mit Rockabilly-, Rhythm'n'Blues- und Garage-Fans haben, also mithin alternative und dunkel gekleidete, aber durchweg freundliche Menschen. 

Silbermikro und Sechziger-Orgeln

Und die erleben mehr als bloß die freie Interpretation eines Beatles-Imitats. Die vier Musiker von Mas Shake sind allesamt Könner ihres Fachs: Michell Guitierrez Gomez legt ein solides Bass-Fundament, gemeinsam mit Thomás Fuentes, der den Swing der Sechziger mit moderner Spieltechnik verbindet. Die einst bei der Mädchenband Lemonbabies aktive, aus Stuttgart stammende Katharina Matthies alias Katy Del Carmen greift in seltenen Fällen nicht ganz taktsicher in die Tasten, zaubert aber wunderbare Retro-Orgelsounds aus ihrem Synthesizer. Rod González schließlich macht bühnentechnisch niemand was vor: Noch kurz vor dem Auftritt werden ein letztes Mal die Gitarren gecheckt, ehe González dreisprachige Ansagen, feurige Riffs und am Ende sogar ein psychedelisches Gitarrensolo hinlegt. Er singt in ein silbernes Mikro rein und heraus kommt tatsächlich, mehr oder weniger, der Sound der Sechziger.

Nun könnte das alles als leicht ironisches Party-Projekt für Freunde des engagierten Shakens durchgehen. Oder als Teil einer Beat-Retrowelle, bei der junge Bands wie The Kooks oder The Coral und jüngst Temples die späten Sechziger neu erkundet haben. Doch die Familiengeschichte des in der chilenischen Hafenstadt Valparaíso geborenen Bandleaders González enthält das traurige Kapitel Pinochet; Familie González musste fliehen, so kam Rod als Junge nach Hamburg und Jahre später in die dortige Musikszene.

Eine Band als Familienforschung

Die südamerikanische Beat-Explosion war jedenfalls längst verpufft, als González selbst Musik machte. Umso mehr kann sein Beat-Projekt Mas Shake als Aufarbeitung der eigenen Herkunft verstanden werden: nicht als nostalgisches Schwärmen in einer längst vorbeigezogenen Vergangenheit, sondern als Familienforschung: Die Musik zu verstehen, die gespielt wurde als man selbst zur Welt kam, heißt, die eigene Identität ein Stück weit zu verstehen.

Und ja, Mas Shake bringen eine Musik auf die Bühne, die heute nur noch in Nischen existiert. Wann ist dem Pop das verloren gegangen, dass das Intro drei Sekunden dauert und dann sofort der Gesang einsetzt? Die mehrstimmigen Vocals, das luftige Schlagzeugspiel? Gitarrenriffs sind heute entweder leicht oder druckvoll; damals bei den Kinks und auch jetzt bei Mas Shake können sie beides sein. Und die Lieder der Berliner Band docken auch an Swing und Country an und bieten allerlei aus der südamerikanischen Tradition geborgte Brüche und Einschübe. Es ist eine in ihrer Offenheit fast schon kindliche Musik, gerade deshalb aber unterhaltsam und immer für Überraschungen gut.

Chile in Stuttgart

Dieses Konzept hat offenbar überzeugt; beim ersten Stuttgart-Auftritt von Mas Shake vor zwei Jahren war das Goldmark's nicht so gut gefüllt. Trotzdem kann man an diesem Abend Rod González viel leichter viel näher kommen als bei den Ärzte-Konzerten in den großen Hallen. Weniger Besucher heißt übrigens nicht schlechtere Musik. Am Ende kann man trotzdem froh sein, dass der gemessen an seinen drei Mitmusikern weitaus erfolgreichere González nicht die Ärzte-Fanmassen zu Mas-Shake-Konzerten lockt. Denn im Club macht diese Musik viel mehr Spaß.

Nicht unerwähnt bleiben soll die aus Stuttgart stammende Supportband The Recalls, ehemals The Stud. Sie eröffnet den Abend mit rockigeren, dreckigeren Sechziger-Sounds, und das Schöne: auch ihr Sänger hat chilenische Wurzeln. Einen besseren Support für Mas Shake hätte niemand auftreiben können!