Die amerikanische TV-Serie „Masters of Sex“ beleuchtet das Leben und Wirken der Wissenschaftler Virginia Johnson und William Masters in den fünfziger Jahren. Und erzählt von einer Zeit des großen Umbruchs.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Stuttgart - Ein Hahn kräht, Blütenblätter öffnen sich im Zeitraffer, ein spitzer Wolkenkratzer drückt ins trübe Blau des Himmels, Hände waschen eine Gurke, jemand zieht am Verschluss einer Bluse, eine Frau beißt in einen Apfel, ein Biber nagt an einem Stock, Schlüssel gleiten ins Schloss, eine Geldmünze schiebt sich in einen Schlitz, der Korken einer Weinflasche wird gezogen, Sekt schäumt über, ein Vulkan bricht aus, Hände krallen ins Leintuch.

 

So beginnt der Vorspann der Serie „Masters of Sex“. Und man könnte meinen, die neue Show verhalte sich zum erfolgreichen Retro-Format „Mad Men“ ein bisschen wie der Roman „Fifty Shades of Grey“ zur „Twilight“-Vampirsaga: same same, nur mit mehr Sex. Zumindest suggerieren das Titel und Plot: In „Masters of Sex“ geht es um die Wissenschaftler William Masters (Michael Sheen) und Virginia Johnson (Lizzy Caplan), die in den fünfziger Jahren die menschliche Sexualität im Labor untersuchten, wissen wollten: was geschieht mit dem Körper während des Geschlechtsverkehrs? Ihre Erkenntnisse veränderten den gesellschaftlichen Blick radikal, zeigten Sex als eine gesunde und natürliche Quelle der Freude.

Die Serie profitiert vom Retrotrend, den „Mad Men“ gesetzt hat (coole Möbel und Klamotten), es geht wieder um soziale Strukturen, die beginnen, sich elementar zu verändern. Und eigentlich geht es nur um die Frage: wer mit wem?

Als Sex noch ein Tabuthema war

Dieses Rummachen ist banal, gewinnt aber an Spannung durch die zeitliche Verortung der Geschichte. Wenn Lust und Leidenschaft verboten sind und Sex ein gesellschaftliches Tabuthema ist, gibt es noch einiges zu verhandeln. Es steht im krassen Gegensatz zur durchsexualisierten Alltagskultur des 20. Jahrhunderts, in der jedes Plakatmodel den Mund so weit offen hat, als mache es sich gerade bereit zum Oralverkehr. Die Serien spielen vor der sexuellen Revolution. Es geht um eine Zeit, in der die Röcke immer kürzer, die Strapse immer lockerer und die Frauen immer selbstbewusster wurden. Und keiner noch so recht wusste, wie ihm geschah.

William Masters wird als verklemmter Gynäkologe gezeigt, der eigentlich nichts von dem versteht, was unter der Bettdecke geschieht. Richtig voran geht es mit seinen Studien erst, als die emanzipierte alleinerziehende Mutter Virginia Johnson ihn unterstützt. Sie bewegt immer mehr Probanden dazu, sich im Labor verkabeln zu lassen. Vor den Augen von Masters und Johnson recken sich dann masturbierende Hausfrauen und einander fremde Paare mit Drähten an den nackten Körpern auf Krankenhausliegen. Virginia Johnson wird, ohne akademische Bildung, zur gleichwertigen Partnerin in der Studie und zusammen mit Masters zur Teilnehmerin. Deren „wissenschaftlicher Sex“ bleibt – wer hätte es gedacht – für den Fortgang der Geschichte nicht folgenlos.

Michelle Ashford hat mit „Masters of Sex“ eine Serie der stärker werdenden Frauen und verunsicherten Männer geschaffen. Wenn der Sexualexperte Masters zu Beginn seiner Studien eine Prostituierte fragt: „Kommt es oft vor, dass Frauen den Orgasmus vortäuschen? Warum?“, dann mag das heute lustig klingen, nachdem dieser Diskurs jahrelang durch die Mainstream-Medien lief. Doch wer Masters’ Chef, einen gestandenen Familienvater, dabei beobachtet, wie der sich selbst kasteit, weil er gegen seine homosexuellen Neigungen nichts tun kann, dem zerreißt es das Herz. Barton Scully (Beau Bridges) versucht es später mit Elektroschocktherapie, verzweifelt an sich selbst, glaubt krank zu sein. Chauvinismus, Sexismus, Unterdrückung und Homophobie gehören zum Alltag in den Fünfzigern, jener eben gar nicht so guten alten Zeit. Welchen Schwierigkeiten Masters und Johnson mit ihren Forschungen da begegnen, kann man sich ausmalen. Und es bleibt ein bitterer Nachgeschmack: Ist heute wirklich alles besser?

„Alles im Leben dreht sich um Sex. Außer Sex.“

„Masters of Sex“ ist nach anderen Formaten dieser Art sicherlich kein revolutionäres Fernsehen. Und die Frage „Können Frauen Sex haben wie Männer?“ hatte Carrie Bradshaw in „Sex and the City“ bereits in den neunziger Jahren mit Ja beantwortet. Seine wahre Größe entfaltet „Masters of Sex“ erst ab der zweiten Staffel, die gerade in den USA läuft. In einer Art Kammerspiel haben sich Masters und Johnson in der dritten Episode zusammen in einem Hotelzimmer eingeschlossen, schlafen miteinander und schauen einen Boxkampf im Fernsehen. Nach und nach offenbaren sich, filmisch geschickt verwoben, die dunklen Geheimnisse ihrer Jugend – ein Wechselspiel des sich Öffnens und Verschließens, in dem ganz offensiv die Geschlechterrollen verhandelt werden.

In einer anderen beliebten US-Serie, in „House of Cards“, zitiert Kevin Spacey einmal einprägsam Oscar Wilde: „Alles im Leben dreht sich um Sex. Außer Sex. Beim Sex geht es um Macht.“ Und das Paradoxe ist: wenn wir an „Mad Men“, „True Blood“ oder „Game of Thrones“ denken, zählt die hier besprochene Serie, die protzend den Geschlechtsverkehr im Titel vor sich herträgt, vielleicht derzeit zu den eher wenigen Shows im amerikanischen Fernsehen, in denen es im Kern um sehr viel mehr geht als um – Sex.