Über die Malerei dachten sie verschieden, dennoch verband sie nicht nur eine private Freundschaft. Das Frankfurt Städel-Museum bringt Henri Matisse und Pierre Bonnard zusammen.

Frankfurt am Main - Die Schlange vor der Kasse reicht bis vor die Türe, und draußen pfeift der Herbstwind schon recht kühl am Frankfurter Museumsufer. Doch das Frösteln lohnt sich, denn im Innern des Städel-Museums bekommt der Sommer eine Verlängerung. Mit Palmen und Pinien, sonnendurchfluteten Salons und Fensterblicken zum Meer. Eine große Doppelschau lässt zwei Großmeister der klassischen Moderne aufeinandertreffen, die jeder auf seine Weise den Weg nach Süden gesucht haben: Henri Matisse, der Pionier der dekorativ verknappten Zeichensprache, und Pierre Bonnard, der im grellen mediterranen Klima die impressionistische Lichtmalerei auf eine neue Stufe hob.

 

Der Ausstellungstitel ist recht ungenau

Ambroise Vollard, einer der prägenden Kunsthändler im Paris des frühen 20. Jahrhunderts, hatte beide Künstler unter seinen Fittichen. Wahrscheinlich war es in seiner Galerie, wo sie sich 1906 kennenlernten. Aus der ersten Begegnung wurde eine Künstlerfreundschaft, die vierzig Jahre dauern sollte, bis zum Tod Bonnards 1947. Obschon sie konzeptuell unterschiedlich dachten, fühlten und malten und Matisse bereits zu Lebzeiten der Populärere war, begegneten sie sich stets auf Augenhöhe, respektierten die Arbeiten des jeweils anderen und verteidigten sie gegen öffentliche Anfeindungen.

„Es lebe die Malerei!“, dieser eigentlich recht ungenaue Ausstellungstitel (ursprünglich ein Postkartengruß von Matisse an Bonnard) macht schon deutlich, dass die Schau möglichst wenig problematisieren möchte. Sie feiert Farben, Formen, Freundschaft. Ein gelungenes Abschiedsgeschenk des Kurators Felix Krämer, der Frankfurt im Oktober verlassen wird, um in Düsseldorf das Museum Kunstpalast zu leiten.

Genießerisches Flanieren

Insgesamt sind rund hundertzwanzig wunderbare Arbeiten aus Museen in der ganzen Welt zusammengekommen. Von leuchtenden Großformaten beherrscht, ermöglichen die Säle ein intensives Vergleichsstudium. Oder einfach nur ein genießerisches Flanieren. Stille Seitenkabinette mit Briefdokumenten oder Zeichnungen schließlich bieten die Chance, das Gesehene inhaltlich zu vertiefen.

Im Entree zur Frankfurter Schau hängen zwei Porträtserien der Fotografen-Legende Henri Cartier-Bresson. 1944 hat er die Künstler in ihren südfranzösischen Ateliers besucht. Seine Kamera arbeitet ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten präziser heraus als es ein Psychologe könnte. Wohlgenährt, einen gemütlichen Hausmantel über die Schultern geworfen, fläzt sich Matisse da im Fauteuil. Ein saturierter Genussmensch, inmitten seiner von Kunstschätzen und teuren Möbeln veredelten Villa.

Wie kärglich dagegen der kleine dünne Bonnard mit seiner Intellektuellenbrille! Spartanisch wie eine Mönchsklause wirken die kargen Mauern seines Hauses bei Cannes. 1926 war er Matisse, der schon seit 1917 vorwiegend in Nizza lebte, an die Mittelmeerküste nachgefolgt.

Mann der Linie trifft Konturauflöser

Gleichwohl ist es nicht nur das Lebensgefühl zwischen Oleander und Olivenbaum, das eine Brücke zwischen den konträren Ansätzen der beiden Künstler schlägt. Gewiss, wo der 1869 geborene Matisse mit seinen großzügig monochromen Farbflächen als der vielleicht mutigste Formvereinfacher seiner Generation gelten kann, hat der zwei Jahre ältere Bonnard zeitlebens versucht, etwas vom Impressionismus Monets in die Moderne hinüberzuretten. Sein tüpfelnder und Häkchen schlagender Pinsel mischt in alle Gegenstandsfarben weiß ausgeflockte Untertöne. Mag Matisse mit scharf umzirkelten Pflanzenformen und tanzenden Ornamenten ein Mann der Linie sein und Bonnard ein Konturauflöser, der die Welt unter grellem Fixsternlicht vibrieren lässt, in der strukturalen Bildanlage stehen sich beide näher, als ihre Pinselschriften ahnen lassen. Das verraten besonders die Interieurs.

Bonnard verewigt meist seine Frau Marthe

Jeder für sich war ein Stimmungsfänger, der das Drinnen mit dem Draußen vermischt. Da werden Fenster und Türen aufgestoßen, damit mittelmeerisches Himmelblau und Strandatmosphäre in die Zimmer strömen. Spiegel oder Bild-im-Bild-Konstrukte spielen zusätzliche Elemente in die Szenerien ein. So erweitert ein Gemälde wie Matisses „Frauen mit Sofa oder Der Diwan“ den Raum ebenso ins Unendliche wie Bonnard mit seiner Komposition „Das Frühstück“.

Auch an der Aktmalerei kann man das Verbindende wie das Trennende zwischen den Malerfreunden ablesen. Bonnard verewigt meist seine Frau Marthe, Matisse arbeitet mit wechselnden Modellen. Er wirft die Körper als schönlinige Flächen auf die Leinwand, während sein Kollege sie noch plastisch herausmodelliert. Nichtsdestoweniger fand auch in diesem Genre ein Austausch statt. Zu sehen an der Karodecke, auf die Matisse seinen zur rosafarbenen Figur reduzierten Akt von 1935 bettet. Sie dient als Kontrastfolie, von der sich die organischen Linien der stilisierten Nackten umso prägnanter abheben. Eine von Bonnard geborgte Idee, wie dessen „Liegender Akt auf weißblau kariertem Grund“ von 1909 belegt.

Der Süden ist überall

Überhaupt ist der vermeintlich Traditionellere derjenige, über den man noch mehr erfahren kann als über den allseits verehrten Matisse. Zwar blieb Bonnard mit seinen großbürgerlichen Gesellschaften im Garten und seinen notorischen Badezimmerszenen stets dem 19. Jahrhundert verhaftet. Dennoch fand er aus dem unzeitgemäßen Festhalten am impressionistischen Fleckenstil heraus zu beachtlichen Neuerungen. Seine Palette ist brennender, unabhängiger von natürlichen Effekten als die von Monet. Jene Villa, die Bonnard in seinem Spätwerk „Die sonnige Terrasse“ (1939–46) zum Glühen bringt, steht nicht an der französischen Riviera, sondern bei Paris. Doch für Bonnard, und auch das teilt er mit Matisse, war der Süden überall.

Bis 14. Januar, Di–So 10–19, Do u. Fr bis 21 Uhr