Der Vorabend im „Ersten“ bleibt eine Baustelle. Die ARD sieht den Sendeplatz trotzdem auf einem gutem Weg.

Stuttgart - Stuttgart - Frank Beckmann ist für gewöhnlich ein gut gelaunter und entspannter Zeitgenosse. Der NDR-Fernsehdirektor bleibt selbst dann gelassen, wenn man ihn auf den Vorabend im „Ersten“ anspricht. Das ist nicht selbstverständlich, denn der frühere Kika-Chef ist der Koordinator dieser Sendestrecke zwischen 18 und 20 Uhr, und die Zuschauerresonanz der letzten Jahre ließ doch ziemlich zu wünschen übrig. Genau genommen war das Interesse so niedrig, dass gern von einer „Todeszone im Ersten“ die Rede ist.

 

Diesen Begriff mag Beckmann allerdings überhaupt nicht, zumal er Zahlen hat, die das Gegenteil dokumentieren: „Wir hatten 2014 am Vorabend einen Marktanteil von 9,8 Prozent und haben damit hinter dem ZDF und RTL einen guten dritten Platz aller werbefinanzierten Vollprogramme belegt.“ Allerdings hat die Fußball-WM einen großen Anteil an diesem Fazit. Rechnet man die WM-Spiele raus, kommt die ARD auf 8,1 Prozent, belegt damit aber immer noch Platz drei. Aus interner Sicht mag damit das derzeit Mögliche erreicht sein, doch extern wird naturgemäß ein anderer Maßstab angelegt: Der Durchschnittsmarktanteil des ersten Programms lag im vergangenen Jahr bei 12,5 Prozent; um auf diesen Wert zu kommen, müsste der Vorabend um fünfzig Prozent zulegen.

Nur wenige Ausreißer nach oben

Ganz gleich jedoch, durch welche Brille man die Zahlen betrachtet, Tatsache bleibt: Einige der Serien, mit denen die ARD unter dem Sammeltitel „Heiter bis tödlich“ aus dem Quotentief rauskommen wollte, haben 2014 das Klassenziel völlig verfehlt. „Akte X“: 6 Prozent; „Hauptstadtrevier“ (Staffel eins): 6 Prozent; „Koslowski & Haferkamp“: 4,9 Prozent. Von den mickrigen Erfolgen bei der Zielgruppe 20 bis 59 Jahre, an die sich das Werberahmenprogramm eigentlich richten soll, ganz zu schweigen. Wirklich funktioniert hat 2014 mit knapp zehn Prozent nur der Dauerbrenner „Großstadtrevier“, alles andere lag unter dem fußballfreien Durchschnitt von 8,1 Prozent, sogar die populäre Bayern-Comedy „Hubert und Staller“ (7,7 Prozent).

Beckmann versucht zwar, den tristen Gesamteindruck mit dem Hinweis auf das „schwierige Sendeumfeld“ zu relativieren, räumt aber ein: „Selbst wenn wir den Abwärtstrend der letzten Jahre gestoppt haben, gibt es keinen Anlass zu Euphorie.“

Martanteile bei der internen Bewertung nicht maßgeblich

Immerhin war der Trend zuletzt positiv: Die Quoten von „Quizduell“ liegen über dem Vorjahresschnitt, und der Ende Januar gestartete jugendliche Vorabendableger von „In aller Freundschaft“ hat den Marktanteil auf dem Sendeplatz sogar verdoppelt. Der Vorabendkoordinator Beckmann ist sicher: „Wenn das so weitergeht, wird es 2015 auf jeden Fall ein Wachstum am Vorabend geben.“

Erst Vorschusslorbeer, dann Absturz

Beckmanns Zuversicht schließt sogar die 2011 eingeführte Dachmarke „Heiter bis tödlich“ mit ein, auch wenn die ARD keine neuen Serien mehr unter diesem Reihentitel starten wird: „Wir sind nach wie vor überzeugt, dass humorvolle Krimis mit regionaler Färbung am Vorabend funktionieren. Aber wir wussten auch, dass man einen langen Atem braucht, wenn man neue Ideen ausprobiert.“ Der NDR-Fernsehdirektor widerspricht dem Eindruck, die einzelnen Serien seien zu verwechselbar gewesen: „Das Spektrum reicht von ,Großstadtrevier‘ bis zu ‚Hubert und Staller‘, und dazwischen tummeln sich viele verschiedene Ansätze. Die einen waren stärker familienorientiert, die anderen enthielten mehr Krimi-Elemente; manche waren eher klamaukig, andere lebten von einer starken Figurenkonstellation.“

Interessanterweise sind die Marktanteile bei der internen Bewertung gar nicht entscheidend: „Für uns ist viel wichtiger, ob ein Ensemble funktioniert und welche Möglichkeiten ein Format zur Weiterentwicklung bietet, um ein Erfolg zu werden.“

Deshalb ist auch zu „Unter Gaunern“ das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Ende Januar mit großen Vorschusslorbeeren gestartete Dienstagsserie über eine liebenswerte junge Polizistin, deren Angehörige ausnahmslos Ganoven sind, hatte einen mittelprächtigen Start (6,9 Prozent), ist dann jedoch regelrecht abgestürzt (4,7 Prozent). Beckmann hatte schon geahnt, dass die Serie es nicht leicht haben würde: „,Unter Gaunern‘ hat vergleichsweise junge Hauptfiguren und einen Humor, der an ,Türkisch für Anfänger‘ oder ‚Berlin, Berlin‘ erinnert. Solche Formate tun sich am Vorabend anfangs immer etwas schwer.“ Er ist überzeugt, dass die Serie am Hauptabend deutlich besser funktionieren würde.

Trotzdem ist der Vorabendkoordinator froh, dass die ARD solche Experimente wage, zumal die Kosten überschaubar seien. Die Idee, angesichts der wenig erfreulichen Zuschauerzahlen nur noch auf preiswerte Quizformate zu setzen, wäre ohnehin eine Milchmädchenrechnung, belehrt er: „Die ARD verfügt nun über eine Vielzahl repertoirefähiger Produktionen, die dank der vielen verschiedenen Plattformen mehrfach verwertet werden können.“

Das Bayerische Fernsehen hat mit den Wiederholungen von „München 7“ und „Hubert und Staller“ zweistellige Marktanteile erzielt, NDR Fernsehen zeigt mit Erfolg „Morden im Norden“ und „Alles Klara“. Das macht die Serien laut Beckmann auch finanziell attraktiv: „Die einzelne Produktion mag auf den ersten Blick teuer sein, aber durch die mehrfache Auswertung wird sie unterm Strich sehr günstig.“

Finanziell ist die Mission also erfolgreich, aber sein eigentliches Ziel hat der NDR-Fernsehdirektor noch nicht erreicht. 2011 hatte er angekündigt, die Wegstrecke werde eher ein Marathon als ein Sprint. Nun räumt er ein, dass man wohl von einem Triathlon sprechen müsse. Außerdem hat er damals prophezeit, „dass wir schneller sind als die Hamburger Elbphilharmonie“. Die Zeit wird knapp.