Im Stopp-and-Go geht es an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien voran. Nur wenige Flüchtlinge entkommen dem Chaos des Lagers Indomeni.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Gevgelija - Im Schatten des Stacheldrahts ist der Blick auf die Arbeit der Grenzbeamten nicht erwünscht. Noch harren die Grenzgänger auf der griechischen Seite des Zauns auf die Öffnung des Gatters, als ein mazedonischer Polizist in Gevgelija die Berichterstatter im Befehlston vom Zauntor zum griechischen Lager Idomeni verscheucht: „Alle Journalisten hinter die Gleise!“ „Macht die Grenze auf, helft uns!“, fordern verzweifelte Demonstranten auf den Schienen des Lagers Idomeni.

 

Doch wenige Hundert Meter entfernt scheint für die internationale Grenztruppe keine Eile bei der gelegentlichen Öffnung des Grenztors nach Norden geboten: Es sind Beamte der Anrainer- und Visegrad-Staaten, die in Gevgelija die gestrengen Wächter der Balkanroute mimen. Während mazedonische Grenzer gelangweilt an ihren Zigaretten ziehen, streifen sich ihre tschechischen, slowenischen und slowakischen Kollegen für die Leibesvisitationen gemächlich Plastikhandschuhe und Gesichtsmasken über. „Wie viele Leute lassen die heute durch“, fragt ein Syrer jenseits des Stacheldrahts. „Ich weiß nicht“, antwortet ihm ein Helfer in blauer Weste: Die Zahl, wie viele Flüchtlinge passieren können, werde „jeden Tag von Österreich bestimmt“. Ein Containerwagen der Rail Cargo Austria blockiert das verriegelte Eisenbahntor zu Griechenland.

Seit dem vor zwei Wochen verhängten Einreisebann für Afghanen wird der Flüchtlingskorridor über den Balkan unter der Regie Wiens stark abgeriegelt. Doch von den heimlichen Herren von Gevgelija ist an der Grenze nichts zu sehen. Die österreichischen Kollegen seien vor zehn Minuten abgezogen, berichtet ein kroatischer Polizist. Alle Entscheidungen über die Zulassung oder Ablehnung von Migranten würden bei den „abgesprochenen“ Prozeduren der Personalkontrolle von den Beamten der beteiligten Nationen „gemeinsam getroffen“.

Lange Schlangen und Chaos im Lager Indomeni

Die Zusammenarbeit der internationalen Polizeitruppe sei gut, miteinander werde auf Englisch kommuniziert: „Wenn die Dokumente der Flüchtlinge nicht den Anforderungen entsprechen, dürfen die nicht passieren und werden sofort auf die griechische Seite des Zauns zurückgeschickt.“ Lange Schlangen vor Wasser- und Essensausgaben bestimmen im Zeltlager von Idomeni das Bild. Nur wenige Hundert Meter weiter nördlich im Durchgangslager Gevgelija gibt es mehr Helfer als Flüchtlinge im halb leeren Containerdorf. „Hier gibt es genug Wasser und Essen, ist alles okay“, berichtet ein bleicher Syrer, dem wenige Stunden zuvor die Grenzpassage mit seiner Frau und zwei Kindern gelang: „Drüben hatten wir 13 Tage lang keine Dusche.“

Erleichterung will sich bei dem nervösen Familienvater dennoch nicht einstellen: „Sie haben meine Mutter wegen ihrer Papiere nicht durchgelassen.“ In einem „sehr schlechten Zustand“ würden die Flüchtlinge von Idomeni nach Gevgelija gelangen, berichtet Jespar Jensen vom Kinderhilfswerks Unicef. Läuse, Krätze und Durchfallerkrankungen begännen sich auszubreiten. 40 Prozent der mittlerweile 12 000 Flüchtlinge in Idomeni seien Kinder. 200 bis 300 Menschen pro Tag konnten in der letzten Woche das Lager der Verzweifelten Richtung Mazedonien verlassen, täglich kamen dafür bis zu 2000 hinzu.

Die syrische Mutter klagt über die Zustände

Endlich zieht ein Kordon griechischer Polizisten vor der Südseite des Zauns auf. Auf der anderen Seite verschwinden sechs Grenzbeamte mit einem Metalldetektor im Abfertigungshäuschen: und schließlich öffnet sich das Tor. Nach zehn Minuten hat als Erste eine schwarz gekleidete Witwe aus Syrien mit ihren beiden Kleinkindern im Arm und ihren Habseligkeiten auf dem Rücken die Personalkontrolle passiert. Ihre Wartenummer habe ihr heute „Glück gebracht“, meint die Frau atemlos. Sieben Tage habe sie in Idomeni verbracht, heute zehn Stunden „ohne Wasser und Essen“.

Noch ein halbes Dutzend erschöpft wirkender Familien können passieren, dann wird das Gatter verriegelt. Von rund 300 durchgelassenen Menschen am Tag sprach in dieser Woche in Gevgelija Mazedoniens Innenminister Oliver Spasovski: „Wir werden sie so lange durchreisen lassen, solange Serbien und die anderen Staaten der Balkanroute sie passieren lassen.“ Deutlicher drückte sich Staatschef Gjorge Ivanov aus. Sobald Österreich seine „Obergrenze“ von 37 000 Flüchtlingen erreicht habe, werde die Balkanroute „geschlossen“.