Die Politik plant die Abschaffung der Sieben-Tage-Regel in den Mediatheken von ARD und ZDF. Befreit von allen Korsetts, wäre die digitale Nutzung des gesamten TV-Angebots dann überall und jederzeit möglich.

Stuttgart -

 

Bis zur Gründung der ersten Kommerzsender hat sich der größte Teil des Fernsehprogramms an alle Zuschauer gerichtet. Doch diese Zeiten sind vorbei. Mittlerweile unterscheiden sich die Publika nicht nur durch ihre Vorlieben, sondern auch durch die Nutzungsweise. Ältere Zuschauer, die im analogen Zeitalter aufgewachsen sind, bevorzugen das klassische TV-Programm, jüngere suchen sich die Sendungen, die sie interessieren, immer häufiger im Netz. Die Nutzung „auf Abruf“ wächst rasant, weshalb das Marktforschungsinstitut Goldmedia von einem „Eldorado für Augäpfel“ spricht: Die Forscher sind überzeugt, dass der Video-on-Demand-Umsatz in Deutschland bis 2018 auf 449 Millionen Euro steigen werde, das Dreifache der derzeitigen Summe.

Passend zu der Entwicklung haben die Länderchefs die Rundfunkkommission beauftragt, einen Entwurf für einen zeitgemäßen Telemedienauftrag vorzulegen. Damit soll die derzeit gültige Sieben-Tage-Regelung ersetzt werden. Sie sieht vor, dass Fernseh- und Hörfunksendungen von ARD, ZDF und Deutschlandradio nur sieben Tage nach der Ausstrahlung in den Mediatheken stehen dürfen. Wollen die Sender davon abweichen, müssen sie ihren Aufsichtsgremien in aufwendigen Drei-Stufen-Tests nachweisen, dass es ein publizistisches Bedürfnis für längere Verweildauern gibt. Künftig aber soll nun jedes öffentlich-rechtliche Angebot ohne zeitliche Beschränkung online und mobil abrufbar sein.

Ist die Debatte nur eine Scheindebatte?

Setzen die Länderchefs ihr Vorhaben in die Tat um, könnten die Sender bald auf den Drei-Stufen-Test verzichten und die Verweildauer selbst bestimmen. Das stößt naturgemäß nicht bei allen Marktteilnehmern auf Zustimmung.

Medienrechtsanwalt Oliver Castendyk erinnert an die Gründe, die zur Einführung der Sieben-Tage-Regelung geführt hätten: Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte ein öffentlich-rechtliches Telemedienangebot nicht in Konkurrenz zu kommerziellen Video-on-Demand-Plattformen treten; damit wurde einem entsprechenden Wunsch der EU-Kommission entsprochen. Außerdem sollte vermieden werden, dass bei den Rundfunkanstalten hohe Rechtekosten für den Erwerb von Abrufrechten entstehen. Im Rahmen der Drei-Stufen-Tests sollte deshalb zwischen den Interessen der Rundfunkbeitragszahler und der Produzenten abgewogen werden. Aus Sicht des Juristen, der bei der Allianz Deutscher Film- und Fernsehproduzenten die Sektion Entertainment leitet, ist das Änderungsvorhaben zudem ein „politischer Scheinriese“, denn die Hauptnutzung eines Films in den Mediatheken finde ohnehin in den ersten Tagen statt. Außerdem könnten die Sender bereits nach geltendem Recht, auf der Basis von Drei-Stufen-Tests, die meisten Produktionen weit über die sieben Tage hinaus zur Verfügung stellen.

Was nach dem siebten Tag noch geht

Tatsächlich taucht die Einschränkung „sieben Tage“ im derzeit gültigen Verweildauerkonzept der ARD nur ein einziges Mal auf und bezieht sich auf aktuelle Sendungen wie etwa das „Morgenmagazin“. Ausdrücklich ausgenommen ist die 20-Uhr-Ausgabe der „Tagesschau“, weil sie der fortlaufenden Geschichtsschreibung diene. Sportgroßereignisse und die Spiele der ersten und zweiten Bundesliga dürfen gar nur 24 Stunden in der ARD-Mediathek bleiben. In den weiteren Rubriken geht es um ungleich längere Zeiträume: Mehrteiler, Fernsehfilme und Serien ohne feststehendes Ende dürfen drei Monate verweilen, Serien mit feststehendem Ende sechs Monate. Bildungsprogramme dürfen fünf Jahre und Archivmaterialen gar unbefristet zur Verfügung gestellt werden. Auch die ARD-Onlinekoordinatorin Heidi Schmidt bestätigt, dass eine Abschaffung der gesetzlichen Sieben-Tage-Regel „überhaupt keine direkten Auswirkungen auf die Telemedienangebote von ARD und ZDF hätte.“

Bei näherem Hinschauen zeigt sich, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung der entsprechenden Passagen im Staatsvertrag nicht immer auf der Höhe der Zeit war. Die Übertragungen bestimmter sportlicher Großereignisse zum Beispiel dürfen nur 24 Stunden im Netz stehen. Das galt auch fürs WM-Finale zwischen Deutschland und Argentinien. Selbst der mächtige Weltfußballverband aber hätte gar nichts dagegen gehabt, wenn die Partie noch Tage später zu sehen gewesen wäre, denn der Vertrag zwischen der Fifa sowie ARD und ZDF beinhaltete auch die Online-Rechte. Der Gesetzgeber war davon ausgegangen, dass solche Rechte grundsätzlich zusätzliche Kosten verursachen.

Jugendkanal als Vorreiter?

Die aktuellen Nutzungszahlen verdeutlichen, wie groß der Handlungsbedarf ist, denn die Angebote in den Mediatheken erfreuen sich zunehmender Nachfrage. Der jüngst beschlossene Jugendkanal von ARD und ZDF wird der erste öffentlich-rechtliche Sender sein, bei dem laut Mainzer Staatssekretärin Jacqueline Kraege „weder die Sieben-Tage-Regelung noch der Drei-Stufen-Test Anwendung finden“. Dank der Verknüpfung der verschiedenen Angebotsformen sei das Konzept ein „Experimentierfeld für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt“, erläutert die Chefin der in Rundfunkfragen federführenden rheinland-pfälzischen Staatskanzlei.

Zwischen den Zeilen lässt sich also herauslesen, dass das öffentlich-rechtliche Jugendangebot auch ein erster Schritt zur Abschaffung der Sieben-Tage-Regel sein könnte. Dieser Interpretation will Jacqueline Kraege jedoch nicht folgen. Sie bestätigt nur, dass die Länderchefs „in Aussicht genommen“ hätten, den Telemedienauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zeitgemäß fortzuentwickeln. Es sei aber noch zu früh, um zu prognostizieren, „in welcher Form der Drei-Stufen-Test und die Regelungen zu den Telemedienkonzepten insgesamt verändert werden“.