Bürgerbeteiligung ist in aller Munde – im Kleinen wird sie schon lange praktiziert. Dann heißt sie Mediation und soll verhindern, dass Konflikte in Familien, Firmen und Gemeinden vor Gericht landen. In Ludwigsburg beginnt morgen ein bundesweiter Kongress

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Ludwigsburg - Wo Menschen zusammenleben, sind Konflikte unausweichlich. Wo Entscheidungen getroffen werden, gibt es immer Unzufriedene. Und wenn Paare sich trennen und Familien auseinanderbrechen, kann das in Kämpfe ausarten, bei denen es nur Verlierer gibt. Im Familienrecht war die Mediation schon lange eine Methode, Konflikte einzudämmen, um sicherzustellen, dass die Ehepartner weiter miteinander reden können. Auch in Politik und Wirtschaft gilt der Einsatz von Mediatoren als Weg, für verfahrene Konflikte eine Lösung zu finden, mit der beide Seiten leben können.

 

Der 26. Juli 2012 markiert einen Meilenstein

Nicht erst seit den Auseinandersetzungen über das Bahnprojekt Stuttgart 21 heißt das Zauberwort Bürgerbeteiligung. So gesehen markiert der 26. Juli 2012 einen Meilenstein in der Rechtsgeschichte. Es ist der Tag, an dem das Mediationsgesetz verabschiedet wurde. Der Gesetzgeber schrieb fest, dass der Weg zum Gericht nicht der einzige Weg ist, einen Konflikt im Zivil- und Familienrecht beizulegen.

Familienrecht Der Brief einer anderen Frau an ihren Mann raubte Elke E. das Vertrauen in ihre Ehe. Über 20 Jahre war sie verheiratet, drei Kinder hatten sie und ihr Mann großgezogen. Das sollte nicht alles in Scherben enden. Die Noch-Partner gingen zur Mediation und setzten sich damit den Fragen eines unparteilichen Dritten aus. Das war in ihrem Fall der Ludwigsburger Siegfried Rapp. Mit ihm legten sie fest, dass Frau E. eine Umschulung macht und ihr Mann in dieser Zeit für die gemeinsame Eigentumswohnung aufkommt. Sie regelten, wie die Besuche der jüngsten Tochter beim Vater ablaufen sollten. Sie ließen sich Zeit, mit den gemeinsam erarbeiteten neuen Regeln des Miteinanders zurechtzukommen. Immer wieder saßen sie bei Rapp und versuchten gemeinsam, einen Schritt weiterzugehen. Ob voneinander weg oder zueinander hin, gab der Mediationsprozess nicht vor.

Leicht war das für alle Beteiligten nicht. Aber sie gelangten so nicht in einen Schlagabtausch gegnerischer Anwälte, der Familienstrukturen zerstören kann. In einer der Runden saßen sogar Vater, Mutter und die drei Kinder an einem Tisch. Von den Söhnen kam der Wunsch, nicht zu vergessen, dass man einmal eine Familie gewesen sei und dass man sich weiter besuchen solle. Schon vor seinem Scheidungstermin regelte das Paar das Finanzielle. Die siebenminütige Gerichtsverhandlung besiegelte dann nur noch, was sie schon vorher miteinander vereinbart hatten. Öffentlicher Raum Der Konflikt machte 2008/09 bundesweit Schlagzeilen. Die Admiralsbrücke in Berlin-Kreuzberg war bei schönem Wetter Treffpunkt für 200 bis 500 Menschen. Schon allein deren Gespräche raubten den Anwohnern die Nachtruhe. Zudem vermüllte die Nachbarschaft. Strafbar war nicht, was geschah. Die Behörden setzten deshalb auf Mediation. Sosan Azad ist eine von vier Mediatoren, die zunächst 25 Vertreter aller Betroffenen in Gesprächsgruppen versammelten, um die unterschiedlichen Sichtweisen einzufangen. Die daraufhin vereinbarte Lärmmessung erbrachte zu hohe Dezibelwerte. Die Polizei hat nun eine Grundlage, um einzugreifen. Sie ist bis 22 Uhr vor Ort, geht aber deeskalierend vor. Neue Müllbehälter wurden aufgestellt.Die Stadtreinigung säuberte häufiger als bisher ohne zusätzliche Kosten die Brücke. Der Konsens hält seit 2010. Ein Runder Tisch trifft sich jedoch noch immer alle zwei Monate. Wirtschaft Jürgen Briem ist beim Softwarekonzern SAP zuständig für das Konfliktmanagement und leitet dort den Mediatorenpool. 35 der konzernweit 17 500 Mitarbeiter sind zeitweise in der eigenen Firma als Mediatoren tätig – das jedoch nur in Bereichen, in denen sie nicht tätig sind. Ihr Vorteil: sie kennen „die Sprache des Unternehmens“ (Briem). Wichtig sei aber, mediationsfähige Konflikte erst einmal zu identifizieren. Manches sei auch Sache des Betriebsrats oder der Gesundheitsabteilung. Manchmal können zwei Mitarbeiter gar nichts für den Konflikt, den sie miteinander austragen – wenn sie beispielsweise einander zuwiderlaufende Zielvorgaben haben. Auch das kann eine Mediation zu Tage bringen. Dann ist das Management gefragt, die Ursache zu beseitigen.

Eine Mediation kann aber auch im günstigsten Fall durch den geschützten und moderierten Gesprächsrahmen einen Perspektivenwechsel bei den Kontrahenten einleiten. An die Grenzen gerate, so Briem, das von seiner Idee her ergebnisoffene Mediationsverfahren in patriarchalischen Unternehmensstrukturen. „Es bedeutet für Vorgesetzte immer, Kompetenz abzugeben und einen Vertrauensvorschuss zu gewähren.“ Das schlägt sich auch in den Bilanzen nieder. Zufriedene Mitarbeiter sind bekanntermaßen leistungsbereiter und gesünder. Am Ende eines Mediationsverfahrens steht auch bei SAP eine mündliche oder schriftliche Vereinbarung. Die Erfolgsquote sieht Briem bei 100 Prozent. Erfolg ist für ihn auch, wenn zwei in Würde auseinandergehen.

Polizei Ulrike Garbe ist die Frau für Konflikte bei der bayerischen Polizei. Die Trainerin für Führungskräfte ist damit Ansprechpartnerin für 40 000 Menschen im südlichsten Bundesland. Sie ist neben ihrer eigentlichen Aufgabe zuständig für innerbehördliche Konflikte. Dann, wenn Kollegen so sehr überkreuz miteinander sind, dass sie verstummen oder Informationen nicht mehr weitergeben – und der Leidensdruck übermächtig wird. Dann ist es höchste Zeit zu reden. Zwischen zehn und 15 Anfragen bekommt Garbe jährlich. Daraus werden zwei bis fünf Mediationen. In einer hierarchischen Struktur wie bei der Polizei ist das nicht immer leicht. Viele Ursachen der Konflikte liegen, so ist Garbe überzeugt, in mangelnder und verunglückter Kommunikation. Sie versucht dann, das Bewusstsein für die Wirkung der eigenen Worte zu schärfen. Die Quelle fast aller Konflikte, „ist mangelnde Wertschätzung“.