Medienberichten zufolge wurde in Deutschland möglicherweise ein bundesweites Betrüger-Netzwerk aufgedeckt. Konkret geht es um etwa 230 Pflegedienste, die im Zusammenspiel mit Patienten und Ärzten bei der Abrechnung betrogen haben sollen.

Berlin - Rund 230 ambulante Pflegedienste mit osteuropäischen Gründern sollen teils bundesweit ein System für Abrechnungsbetrug aufgebaut haben. Dabei seien im Zusammenspiel mit Patienten und Ärzten nicht erbrachte Leistungen abgerechnet worden, berichten der Bayerische Rundfunk (BR) und die Zeitung „Die Welt“ am Dienstag unter Berufung auf den Abschlussbericht von Sonderermittlern. Das in die Ermittlungen eingebundene Landeskriminalamt (LKA) Nordrhein-Westfalen wollte die Medienberichte nicht kommentieren.

 

Aus dem internen Bericht des LKA und des Bundeskriminalamts geht nach Informationen von BR und „Welt“ hervor, dass das Netzwerk überwiegend von Berlin aus gesteuert wurde und die Pflegekassen um hohe Summen betrogen wurden. Regionale Schwerpunkte der Pflegemafia seien Nordrhein-Westfalen und Berlin, außerdem Niedersachsen, Brandenburg und Bayern.

Der Bericht „Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen durch russische Pflegedienste“ lege zudem offen, dass viele der beschuldigten ambulanten Pflegedienste und ihre Betreiber auch in andere kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen seien, darunter Geldwäsche, Schutzgeldzahlungen und Glücksspiel. Unter den ehemaligen Firmenbetreibern sollen sich auch Menschen befinden, die von den Behörden als Auftragsmörder verdächtigt werden.

Schwerpunktermittlungsdienste zur Aufklärung gefordert

Das LKA Nordrhein-Westfalen wollte sich nicht zu den Medienberichten äußern. Der zitierte Ermittlungsbericht sei intern und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sagte ein LKA-Sprecher in Düsseldorf. Angesichts der mutmaßlichen Betrugsnetzwerke forderte der SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach eine spürbare Reaktion des Staats.

„Wir haben bereits beschlossen, dass ambulante Pflegedienste unangemeldet Besuch bekommen können vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen, die Möglichkeit des Betrugs ist damit massiv eingeschränkt“, sagte Lauterbach der „Mitteldeutschen Zeitung“ vom Mittwoch. „Das Kernproblem bleibt aber“. Da es sich um organisierte Kriminalität handle, „brauchen wir Schwerpunktermittlungsdienste und Schwerpunktstaatsanwaltschaften“, mahnte der SPD-Politiker. „Das darf sich auf keinen Fall wiederholen, denn sonst höhlt es das Vertrauen in die Pflege aus und trifft auch jene Dienste, die gute Arbeit leisten.“

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte „Schwerpunktstaatsanwaltschaften und speziellen Ermittlungsgruppen“. „Hier sind sowohl die Innenminister als auch die Justizminister gefordert“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch der Nachrichtenagentur AFP. Aber auch der Medizinische Dienst der Kassen sei gefragt. „Wenn Identitäten der Antragsteller nicht überprüft werden, ist es nicht verwunderlich, dass eine Person mehrfach unter wechselnden Namen Pflegeleistungen erhält.“

Erste Ermittlungserfolge

Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), nannte Betrügereien in der Pflege „besonders makaber“. Nachrichten wie diejenige von der Aufdeckung der mutmaßlichen Abrechnungsbetrügereien machten ihn „wütend“, sagte Laumann im Südwestrundfunk. „Aber das ist eigentlich nichts Neues, wir haben schon vor einem Jahr gewusst, dass es solche Entwicklungen gibt“, fügte Laumann hinzu. Der Ermittlungserfolg von Landeskriminalämtern und Bundeskriminalamt zeige, dass die vor einem Jahr beschlossene Stärkung der Kontrollrechte des Medizinischen Diensts greife und die Betroffenen mit der vollen Härte des Gesetzes konfrontiert würden.

Laumann plädierte zugleich dafür, in der Pflege einen „Mittelweg“ einzuschlagen. Auf der einen Seite müsse „Familien, die pflegen, Pflegedienste, die nun sich wirklich aufopferungsvoll um die Leute kümmern, auch eine gehörige Portion Vertrauen“ entgegengebracht werden. Andererseits müssten Kontrollen so systematisch erfolgen, dass damit Betrügern das Handwerk gelegt werde.