Bei einer Tagung der Kommission für Jugendmedienschutz über „Extreme Gewaltdarstellungen im Netz“ haben Sie deshalb kürzlich „für ein radikales Umdenken und die Entwicklung neuer Ansätze“ geworben. Wie könnten die aus Ihrer Sicht aussehen?
Mir ist der Umgang mit jugendgefährdenden Inhalten im Netz noch zu technisch gedacht. Technische Sperren bringen meiner Meinung nach nur bedingt etwas. Kinder sind im Umgang mit digitalen Medien meist viel cleverer als Erwachsene und knacken Passwörter, mit denen ihre Eltern den Zugang verhindern wollen. Auch schützen solche Sperren nicht davor, dass Kinder auf dem Schulhof mit verstörendem Material konfrontiert werden. Auch wenn es altmodisch klingt: vor allem durch Aufklärung erreichen wir als Gesellschaft eine höhere Sensibilisierung, wie wir mit diesen Inhalten umzugehen haben.
Das hieße praktisch?
Wenn Kinder und Jugendliche sich intellektuell erschließen, warum es ihnen schadet, Terrorvideos oder Vergewaltigungen anzuschauen, wenn sie sich gemeinsam mit Eltern und Lehrern eine Meinung dazu bilden und idealerweise eine Haltung entwickeln können, werden sie meiner Vermutung nach eher darüber nachdenken, ob sie sich das anschauen oder per Social Media mit Freunden teilen wollen. Mein Rat wäre daher, ein Schulfach Internet-Erziehung zu etablieren, in dem über ethische Fragen der Digitalisierung gesprochen werden kann. Der Erstkontakt mit dem Netz erfolgt meist mit der Einschulung, daher sollten Kinder spätestens dann an diese Problematiken herangeführt werden. Das geschieht teilweise schon, wird aber zuweilen noch sehr halbherzig in andere Fächer integriert. Mein zweiter Gedanke: Aufklärung und Sensibilisierung darf nicht mit dem Schulabschluss enden, sie muss an den Schulen beginnen und sich fortsetzen an den Universitäten. Hochschulen sind der richtige Ort, um Fragen der digitalen Ethik kritisch zu diskutieren.
Plädieren Sie also dafür, die Verantwortung für diese Problematik aus der privaten stärker in die öffentliche Sphäre zu verschieben?
Absolut. Ich sehe Internet-Erziehung als dringliche gesamtgesellschaftliche Aufgabe an, die nicht ausschließlich im privaten Raum gelöst werden kann. Bei der Diskussion muss es auch um öffentliche Zuschüsse gehen, mit denen Aufklärungskampagnen und Internet-Coaches an Schulen finanziert werden. Digitale Medienethik kann, wenn sich das kommerzielle Angebot weiter so entwickelt, nicht allein den Eltern überlassen werden, die oft gar nicht wissen, was im Netz eigentlich so abgeht. Die virtuelle Welt endet ja nicht an den Wänden der Kinderzimmer. Deshalb ist es Aufgabe der öffentlichen Hand, da ein wirksames Korrektiv einzuführen.