Der Medienwissenschaftler Stephan Weichert meint, dass Jugendschutz im Netz nicht nur den Eltern überlassen werden darf. Er sieht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. „Mein Rat wäre, ein Schulfach Internet-Erziehung zu etablieren.“

Stuttgart - - Jugendschutz ist durch die Digitalisierung fast aller Lebensbereiche in der hergebrachten Form fast unmöglich. Stephan Weichert, Mitbegründer und Vorstandssprecher des unabhängigen Debattenforums zur Medienkritik Vocer.org, fordert mehr Unterstützung für Eltern und frühzeitige Aufklärung von Kindern.

 
Herr Weichert, wenn ich in einer Suchmaschine den Begriff „Enthauptung“ eingebe, bekomme ich eine Flut von grauenvollen Bildern, Filmen und Texten angeboten. Was macht aus Ihrer Sicht die ständige Verfügbarkeit von teilweise auch noch sexualisierten Gewaltbildern mit den Medienkonsumenten, vor allem mit den heranwachsenden?
Zunächst muss man zwischen erwachsenen und minderjährigen Konsumenten unterscheiden. Ich glaube, dass das, was im Internet jederzeit und für jedermann verfügbar ist, selbst bei Erwachsenen, die einiges gewohnt sind, zu einer Abstumpfung führt: schlimmste Terrorvideos bis hin zu extremster Pornografie in allen Spielarten. Wenn solches Material schon Erwachsene schockiert, kann man sich vorstellen, was es mit Kindern oder Jugendlichen macht. Dass all das problemlos zu bekommen ist im Netz, ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das noch nicht wirklich zu Ende gedacht wurde.
Die digitalen Medien entwickeln sich rasant, Jugendschutz, wie er früher verstanden wurde, ist kaum mehr möglich. Gleichzeitig sind schon 96 Prozent der unter Vierzehnjährigen derzeit per Smartphone oder Tablet online. Wurde es versäumt, dem neuen Verkehrsmittel Internet eine angemessene Verkehrsordnung zu geben?
Das Internet ist derzeit kaum reguliert und kann auch gar nicht viel stärker reguliert werden, weil sich die Akteure ständig in einer Grauzone befinden. Es ist wie bei dem Wettlauf von Hase und Igel: Der Igel ist immer schon da, wenn der Hase erst losläuft, und so ähnlich ist das mit der Gesetzgebung auch. Die Regulierer hinken fast immer hinterher und finden kaum rechtliche Rahmenbedingungen, die den aktuellen Gegebenheiten angemessen wären. Sobald eine Richtlinie verabschiedet ist, ist sie schon wieder veraltet. Was deshalb dringend notwendig wäre, ist ein intensiver gesellschaftlicher Diskurs mit den Betroffenen, vor allem Eltern und Lehrern.
Wie sollte der ausschauen?
Kinder und Jugendliche sollten sich vom ersten Internetkontakt an viel stärker mit neuen Anforderungen und Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Es unterhalten sich derzeit zwar Politiker und Regulierer untereinander oder sogar mit Leuten aus der Internet-Branche, aber das ist eigentlich nicht genug. Der richtige Adressatenkreis sind Schulen und Hochschulen, wo Kinder und junge Erwachsene ausgebildet werden. Gerade Eltern sind oft besonders hilflos im Umgang mit fragwürdigen Inhalten aus dem Netz, weil viele von ihnen nicht genügend Informationen haben, um zu erkennen, an welchen Stellen es überhaupt einen Zugang zu kritischen Websites gibt. Oft wissen sie auch gar nicht, wie sie sich mit ihren Kindern unterhalten und sie unterstützen können, wenn die im Netz zufällig auf Gewalt oder Pornografie stoßen. Da sehe ich den größten Nachholbedarf.