Was die frühen siebziger Jahre für die Raumfahrt waren, das waren die neunziger Jahre für das raketenartig startende Privatfernsehen. Die werbefinanzierten Konkurrenten der öffentlich-rechtlichen Sender loteten die Grenzen aus, auch über den Wertekonsens hinaus. Arabella Kiesbauer prägte den Nachmittag, brachte es mit intimen Geständnissen ihrer Gäste auf Pro Sieben zu einem Millionenpublikum und verstörte zugleich Zuschauer ob „der Tyrannei der Intimität“, wie es Grimm ausdrückt. Es folgte die Zeit, in der Menschen in Container einzogen, wo jeder noch so private Winkel gefilmt wurde. Petra Grimm war mittendrin in dem gesellschaftlichen Diskurs über die Frage, wie weit das Privatfernsehen gehen darf. Lange her. „Unsere Wahrnehmung der Tabus hat sich geändert“, bilanziert die Professorin zwanzig Jahre danach. „Wir haben uns heute an die Grenzüberschreitung gewöhnt. Keiner stört sich mehr an Big Brother.“

 

In den neunziger Jahren war das noch anders. Quote verdrängte Qualität. Die Programmaufseherin hatte alle Hände voll zu tun. Nebenbei dozierte sie am Institut für Neuere Literatur und Medien an der Universität Kiel. 1998 kam der Ruf an die Hochschule der Medien nach Stuttgart, wo sie die gesellschaftliche Bedeutung der Medien in den Mittelpunkt stellte und sich auf Themen wie Gewalt im Netz, Medienethik und Internetkonsum von Jugendlichen spezialisierte.

Das Internet hat die Kommunikation revolutioniert. Das Problem dabei ist nicht das Medium selbst. Das Problem ist die Beschleunigung. „Wir müssen lernen, mit dem Medium selbstbestimmt umzugehen, und uns wieder Inseln der Kontemplation und Ruhe zurückerobern“, meint Petra Grimm. Heute surft jedes Kind durch unendliche Weiten, ein Mausklick, und der Computer beamt die immer jünger werdende Nutzer-Community in andere Sphären, in verheißungsvolle Chatrooms und in knallbunte Gärten. Jeden Tag sitzen abenteuerlustige Jugendliche vor kleinen Raumschiffen namens Computer und heben mit ihnen ab, ohne dass ihnen jemand eine Richtung vorgibt oder den Flugradius begrenzt.

Risiken der Netz-Abenteuer

Laut Petra Grimms Studie verfügen heute mehr als 9o Prozent aller Halbwüchsigen in Deutschland über einen eigenen Internetzugang in ihrem Zimmer. Aber kein Abenteuer ohne Risiko: die Bundesregierung bezeichnet inzwischen 560 000 Menschen im Alter zwischen 14 und 64 Jahren als internetsüchtig.

Jemand klopft an die Tür zum Büro von Petra Grimm. Ein Kollege lugt herein. „Wir müssen unbedingt einen Kaffee trinken gehen“, sagt er. Die Professorin für Medienforschung und Kommunikationswissenschaft ist gefragt. Ihr Arbeitsgebiet beschäftigt nicht nur die Wissenschaft. Das Thema treibt auch viele Eltern, Politiker und Pädagogen um. Für Medienethik gibt es hierzulande nur wenige Experten von Format. Sie ist eine davon. Das hat sich so gefügt.

Geboren ist Petra Grimm 1962 in München, aufgewachsen in Augsburg. Mit 11 wurde das Lesen zu ihrer Leidenschaft. Bücher von Sartre und Beauvoir lagen bald auf dem Nachttisch im Kinderzimmer. „Vielleicht gibt es schönere Zeiten“, hat Sartre mal geschrieben, „aber diese ist unsere.“ Petra Grimm wollte die Zeit genauer besehen, machte Abi am Maria-Theresia-Gymnasium in Augsburg, studierte dann Germanistik, Kommunikationswissenschaften und Theaterwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Nach den Büchern kamen die Filme, in die sie eintauchte, und nach den Filmen kam das Theater. 1994 promovierte die Bayerin. In ihrer Doktorarbeit ging es um die Erzählforschung: „Eine Einführung in die Praxis der Interpretation am Beispiel des Werbespots.“

Als ihre Doktormutter an die Uni Kiel berufen wurde, folgte Petra Grimm ihr als wissenschaftliche Assistentin in den Norden, wo sie wenig später Dezernentin für Programmaufsicht bei der Unabhängigen Landesanstalt für Rundfunk und neue Medien wurde. „Da hat sich mir eine ganz neue Welt erschlossen“, sagt sie.

Raketenstart ins Privatfernsehen

Was die frühen siebziger Jahre für die Raumfahrt waren, das waren die neunziger Jahre für das raketenartig startende Privatfernsehen. Die werbefinanzierten Konkurrenten der öffentlich-rechtlichen Sender loteten die Grenzen aus, auch über den Wertekonsens hinaus. Arabella Kiesbauer prägte den Nachmittag, brachte es mit intimen Geständnissen ihrer Gäste auf Pro Sieben zu einem Millionenpublikum und verstörte zugleich Zuschauer ob „der Tyrannei der Intimität“, wie es Grimm ausdrückt. Es folgte die Zeit, in der Menschen in Container einzogen, wo jeder noch so private Winkel gefilmt wurde. Petra Grimm war mittendrin in dem gesellschaftlichen Diskurs über die Frage, wie weit das Privatfernsehen gehen darf. Lange her. „Unsere Wahrnehmung der Tabus hat sich geändert“, bilanziert die Professorin zwanzig Jahre danach. „Wir haben uns heute an die Grenzüberschreitung gewöhnt. Keiner stört sich mehr an Big Brother.“

In den neunziger Jahren war das noch anders. Quote verdrängte Qualität. Die Programmaufseherin hatte alle Hände voll zu tun. Nebenbei dozierte sie am Institut für Neuere Literatur und Medien an der Universität Kiel. 1998 kam der Ruf an die Hochschule der Medien nach Stuttgart, wo sie die gesellschaftliche Bedeutung der Medien in den Mittelpunkt stellte und sich auf Themen wie Gewalt im Netz, Medienethik und Internetkonsum von Jugendlichen spezialisierte.

Das Internet hat die Kommunikation revolutioniert. Das Problem dabei ist nicht das Medium selbst. Das Problem ist die Beschleunigung. „Wir müssen lernen, mit dem Medium selbstbestimmt umzugehen, und uns wieder Inseln der Kontemplation und Ruhe zurückerobern“, meint Petra Grimm. Heute surft jedes Kind durch unendliche Weiten, ein Mausklick, und der Computer beamt die immer jünger werdende Nutzer-Community in andere Sphären, in verheißungsvolle Chatrooms und in knallbunte Gärten. Jeden Tag sitzen abenteuerlustige Jugendliche vor kleinen Raumschiffen namens Computer und heben mit ihnen ab, ohne dass ihnen jemand eine Richtung vorgibt oder den Flugradius begrenzt.

Risiken der Netz-Abenteuer

Laut Petra Grimms Studie verfügen heute mehr als 9o Prozent aller Halbwüchsigen in Deutschland über einen eigenen Internetzugang in ihrem Zimmer. Aber kein Abenteuer ohne Risiko: die Bundesregierung bezeichnet inzwischen 560 000 Menschen im Alter zwischen 14 und 64 Jahren als internetsüchtig.

Petra Grimm macht solche Phänomene sichtbar. Sie arbeitet dabei nicht nach der Maxime: Sag mir, wo der Trend hinläuft, damit ich mich an seine Spitze setze. Sie spürt den Trend überhaupt erst auf und beschreibt ihn mit Zahlen und Fakten. Daraus leitet sie Empfehlungen für die Gesellschaft ab, die in besonderem Maße wirken, weil sie auf einer belastbaren Grundlage fußen. „Wir bräuchten dringend ein eigenes Schulfach namens Medienkunde“, so einer ihrer Ratschläge. Bisher spielten sich alle Beteiligten die Bälle zu, ohne dass sie einer fängt. „Die Eltern sagen, das soll die Schule richten. Die Schule sagt, die Eltern sollen es richten. Und dann sind da noch die Monopolisten wie Google und Facebook, die den Ball an die Eltern zurückspielen, statt ihrer Verantwortung stärker nachzukommen.“

Insgesamt werde es in Zeiten des Umbruchs für Eltern immer wichtiger, die neuen Leitmedien der Jugendlichen zu thematisieren, mit denen ihre Kinder immer mehr Zeit verbringen. Die durchschnittliche Dauer der täglichen Internetnutzung liegt unter Heranwachsenden bei gut 120 Minuten täglich. Es gehe darum, ihnen technische und ethische Grenzen aufzuzeigen, über Chancen zu sprechen, aber auch über Risiken. Nur so könne die neue Generation befähigt werden, das Internet auch als sozialen Lebensraum wahrzunehmen, sich vor Cybermobbing und unerwünschten Mails zu schützen.

Zumindest bei ihren Studierenden findet Petra Grimm längst Gehör. 18 Stunden pro Woche doziert sie an der Stuttgarter Hochschule der Medien, die mittlerweile weit über die Region hinaus bekannt ist und mehr als 4000 Studenten zählt. Mit einigen von ihnen vergibt die Forscherin seit Jahren den Medienethik-Award. Der Preis, den sie ins Leben gerufen hat, versteht sich als ein Qualitätssiegel für wertebewusste Medieninhalte. Die studentische Jury sondiert jedes Jahr Hunderte von Beiträgen, zeichnet Journalisten und andere Medienschaffende für ihre Berichterstattung aus. „Der Bedarf an journalistischer Qualität und Werteorientierung ist größer denn je“, sagt die Professorin.

Es klopft an der Türe. Ein Student. Die Forscherin Petra Grimm verwandelt sich in die Dozentin. Der Student fragt nach Lesestoff. Sie hat reichlich davon im Regal. Gemeinsam tauchen sie ein in die überschaubaren Weiten der Literatur über die unendlichen Weiten des Internets.