Wer Medikamente entwickeln will, braucht viel Geduld. Bei Morphosys hat es 25 Jahre gedauert. Dem Biotechnologieunternehmen, das defizitär arbeitet, könnte es den lange ersehnten Schub bringen.

München - In der Autobranche ist es unvorstellbar, dass ein Hersteller zehn Jahre lang an einem neuen Modell entwickelt, um dann festzustellen, dass es nicht funktioniert. In der Biobranche ist ein solches Vorgehen die Regel. Im Schnitt dauert es 15 Jahre um ein Medikament auf den Markt zu bringen, von 100 Versuchen schaffen es kaum mehr als eine Handvoll, lautet die Faustregel der Hightech-Branche. Beim deutschen Biotechpionier Morphosys aus Planegg bei München hat es 25 Jahre bis zum ersten Volltreffer gedauert.

 

„Diese Zulassung ist ein entscheidendes Ereignis in der Geschichte von Morphosys", jubelt Firmenchef und Mitgründer Simon Moroney. Er spricht vom Schuppenflechte-Medikament Tremfya. Morphosys hat es im Auftrag einer Tochter des US-Pharmariesen Johnson & Johnson maßgeblich das Medikament mitentwickelt. Die US-Gesundheitsbehörde FDA hat ihm gerade eine Marktzulassung erteilt, was den lange ersehnten Durchbruch des deutschen Biotech-Unternehmens bedeutet. Es ist das erste Medikament das auf den Markt kommt, an dem Morphosys beteiligt ist.

Analysten sprechen von Wendepunkt

Branchenanalysten wie Klara Fernandes vom Bankhaus Berenberg sehen in Tremfya einen Wendepunkt. Die Arznei bringe erstmals einen steten Fluss von Lizenzgebühren. Bislang hat sich Morphosys mit sogenannten Meilensteinzahlungen von Auftraggebern aus der Pharmabranche über Wasser gehalten und Geld bei Investoren eingesammelt. Die Planegger arbeiten defizitär. Das könnte sich bald ändern. „Wir erwarten, dass Tremfya in den USA einen Marktanteil von 15 Prozent bei mittelschwerer bis schwerer Schuppenflechte erreicht", schätzt Fernandes.

Das maximale Umsatzpotenzial liege bei 3,5 Milliarden Dollar. Morphosys würden jährliche Lizenzgebühren von bis zu 185 Millionen Dollar winken. Eine Marktzulassung in Europa wird für 2018 erwartet. Die Bedeutung wird angesichts der rund 50 Millionen Euro Umsatz, die Morphosys dieses Jahr erwartet, ersichtlich. „Im Gegensatz zu manch anderen Firmen haben wir mit fast nichts angefangen, außer ein paar Ideen", erzählt der Neuseeländer Moroney. Das Startkapital lag damals bei 300 000 D-Mark (rund 150 000 Euro); derzeit liegt der Börsenwert bei 1,8 Milliarden Euro. Die Idee war mit der Herstellung menschlicher Antikörper im Reagenzglas vor 25 Jahren revolutionär; allerdings blieb das Restrisiko, ob die Idee auch funktioniert. Der Erfolg hat den Firmenschatz – eine Sammlung von Milliarden synthetisch nachgebauten Antikörpern, Kernelemente des menschlichen Immunsystems – immens aufgewertet.

Große Antikörper-Bibliothek

Und so funktioniert es. Ein Auftraggeber liefert Morphosys ein Zielmolekül, das für eine Krankheit wie Schuppenflechte verantwortlich gemacht wird. Dann kommt die Antikörper-Bibliothek der Planegger zum Einsatz. Gesucht wird der Antikörper, der sich am besten an das krankheitserregende Molekül bindet, also die höchste Abwehrkraft entfaltet. Ist der gefunden, geht es in drei klinische Studien und bei Erfolg in die Marktzulassung. Platzen kann alles jederzeit – etwa wegen Nebenwirkungen.

„Es braucht Risikobereitschaft und die Bereitschaft, die Zweifler zu ignorieren", sagt Moroney. Speziell in Europa könne man in Sachen Risikobereitschaft von den USA noch lernen. Bei Morphosys ist das Risiko gestreut. Die Entwicklungspipeline enthalte 110 Medikamentenkandidaten von denen 29 in klinischer Erprobung sind, urteilen Analysten der DZ Bank. Geforscht wird an Medikamente etwa gegen Krebs, Arthritis oder Alzheimer.

Morphosys setzt auf Eigenentwicklungen

„Ich bin zuversichtlich, dass wir in den kommenden Jahren mehrere Medikamente auf dem Markt sehen werden, die auf unserer Technologie basieren", sagt Moroney. Der 58-jährige Chemiker setzt auch auf Eigenentwicklungen. Das gilt für Mor208. Das Kürzel steht für einen in Entwicklung befindlichen Wirkstoff gegen Blutkrebs, an dem man in Eigenregie forscht. Geht alles gut, müssten sich die Bayern nicht wie dort mit Tantiemen begnügen. Dann würden die Milliarden in die eigenen Taschen fließen. Mor208 hat soeben die Zulassung für die klinische Phase 3 erhalten, also die letzte vor einem möglichen Zulassungsverfahren. In diesem Stadium scheitern branchenüblich „nur" noch vier von zehn Kandidaten. Sicher ist also noch nichts, aber Mor208 sei „ein großer Meilenstein für Morphosys", sagt Moroney. 2021 könnte, wenn alles klappt, der Hoffnungsträger auf den Markt kommen.