Immer mehr junge Menschen wollen ihre Leistung mit Hilfe von Arzneimitteln steigern. Doch die Medikamente können gefährliche sein.

Stuttgart - Der 42-jährige Apotheker wollte sich nur eine Zeit lang einigermaßen über Wasser halten: Die Apotheke lief nicht schlecht, er konnte seiner Frau und den beiden Kinder ein sorgloses Leben bieten. Doch die langen Arbeitszeiten, der Leistungsdruck und mangelnde Ruhe ließen den Mann schließlich zu Aufputschmitteln greifen. Das half, um nach vielen Stunden Arbeit immer noch leistungsfähig zu bleiben. Doch dann kamen die Einschlafprobleme, die er mit Hilfe von Beruhigungsmitteln verdrängte, um am Morgen wiederum Pillen zum Wachwerden zu schlucken. Bereits nach einem Jahr war der Mann in einem Teufelskreis des Medikamentenmissbrauchs gefangen. Er veränderte sich: Seine Familie interessierte ihn nicht mehr, Depressionen bestimmten seinen Alltag. Er fand sich in seiner Gefühlswelt nicht mehr zurecht, und nur noch der Aufenthalt in einer Fachklinik und psychologische Betreuung hielten ihn davon ab, sein Leben endgültig zu zerstören.

Bisher gingen Experten davon aus, dass der Missbrauch von Medikamenten vor allen ein Problem der alten, kranken und einsamen Patienten darstellt. Doch mittlerweile zeigt sich, dass immer mehr gesunde, junge Menschen Pillen einnehmen, um wach, konzentriert und leistungsfähig - oder einfach nur ein bisschen besser "drauf zu sein". In einer Studie der Universität Mainz in diesem Frühjahr wurden etwa 1500 Schüler und Studenten aus Hessen und Rheinland-Pfalz nach ihrer Einstellung zu leistungssteigernden Substanzen befragt. Vier Prozent der Befragten hatten mindestens einmal versucht, ihre Konzentration mit Hilfe von legalen oder illegalen Substanzen zu steigern. Mehr als 80 Prozent stehen einer leistungssteigernden, frei verfügbaren Pille ohne die unvermeidlichen Nebenwirkungen positiv gegenüber. Nur elf Prozent lehnten derartige Mittel grundsätzlich ab.

Unter dem Stichwort "Doping am Arbeitsplatz" hat auch die deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) dieses Phänomen untersucht. 3000 Arbeitnehmer im Alter von 20 bis 50 Jahren nahmen an der Studie teil. Ein bis zwei Prozent der Befragten putschten sich demnach im vergangenen Jahr regelmäßig auf - hochgerechnet auf die arbeitende Bevölkerung wären dies 400.000 bis 800.000 Männer und Frauen. Auch Wissenschaftler dopen sich: Von 1400 befragten Lesern des Magazins "Nature" hat bereits jeder fünfte sogenannte psychotrope Substanzen ausprobiert.

Die wohl bekannteste Modedroge ist Ritalin


Dieses Neurodoping hat sich auch hierzulande etabliert. Die Online-Foren sind voll von experimentierfreudigen Menschen, die sich gegenseitig Tipps geben, mit welchem Medikament sich am besten lernen, am längsten arbeiten und am zuverlässigsten Prüfungsangst ausschalten lässt. Zwar werden in Deutschland Mittel, die in das empfindliche Gleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn eingreifen, restriktiv gehandhabt - wegen der potenziellen Suchtgefahr fallen sie unter das Betäubungsmittelgesetz -, doch können die Mittel recht leicht im Internet besorgt werden.