"Die Medikamente sind wie eine rosarote Brille für die Psyche", sagt Gerd Glaeske, "aber die Pharmawatte ist nicht die richtige Therapie." Die Mittel könnten nur ganz akut bei psychischen Problemen helfen. Danach müsste der Arzt andere Maßnahmen ergreifen. Was oft unterbleibt.

 

Christine M. wurden in ihrer zweiten Ehe die Augen geöffnet. Als sie ihren Ehemann kennenlernte, war sie Anfang 30 und frisch geschieden, er Alkoholiker und bereit zum Entzug. Seine Suchterscheinungen kamen ihr allzu bekannt vor: Planen des Tages um das Suchtmittel herum, Panik bei dem Gedanken, keinen Nottropfen dabeizuhaben, Verheimlichen der Sucht. Sie wechselte den Arzt. Der Neue verschrieb ihr statt Tabletten Psychotherapie - und entwarf mit ihr einen Entzugsplan.

"Das Medikament auf Eigenverdacht hin abrupt abzusetzen ist das Schlimmste, was man machen kann", sagt Gerd Glaeske. Der Körper habe sich an das Mittel gewöhnt und neue Rezeptoren gebildet, die heftige Entzugssymptome hervorriefen. Bei älteren Patienten nehme er den Ärzten gar nicht übel, wenn sie keinen Entzugsversuch starteten, erzählt Glaeske. Als Faustregel gilt: So viele Jahre, wie der Patient das Medikament genommen hat, benötigt er in Monaten, um die Sucht auszuschleichen. Unter Umständen kann diese Entwöhnung schlimmer sein als ein Heroinentzug. Vor vier Jahren hat Glaeske einen Leitfaden für die Bundesärztekammer verfasst. Die Nachfrage danach ist gering.