Das Zen Dojo an der Silberburgstraße besteht seit 25 Jahren. Die Hauptbeschäftigung der Mönche und Novizen besteht darin, mehrmals in der Woche 90 Minuten lang gemeinsam still dazusitzen. Wer es ausprobiert, merkt: das macht den Kopf frei, geht aber ganz schön in die Beine.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Walter Krepulat zieht ein rundes Sitzkissen aus dem Regal und bewegt sich gemessenen Schrittes Richtung Wand. Mit dem Gesicht zur selben lässt er sich nieder, schiebt das Kissen unter den Steiß und verknotet die Beine zu einem halben Lotus. Zuletzt ruckelt er noch ein bisschen, bis alle Wirbel und Knochen richtig sitzen. Die nächsten 90 Minuten wird er regungslos in dieser Haltung verharren. Viermal die Woche pilgert der buddhistische Mönch zum Zen Dojo an der Silberburgstraße, um mit anderen schweigend zu sitzen, Zazen zu praktizieren. „Za“ heißt „sich hinsetzen, ohne sich zu bewegen“ – wie ein Berg. „Zen“ bedeutet „Essenz“. Zazen steht im Mittelpunkt des Zen, durch sie soll Buddha vor 2600 Jahren erwacht sein. Man widmet dabei seine ganze Aufmerksamkeit der Haltung, der Atmung und dem Auftauchen und Verschwinden der Gedanken.

 

Und wozu ist das gut? Darauf hat Krepulat viele Antworten und zugleich keine. Seit fast 30 Jahren praktiziert der Vorsitzende des Ho Ryu Zen Dojo Stuttgart die Sitzmeditation. Das Stuttgarter Dojo („Ort des Weges“) hat er vor 25 Jahren als Ort gemeinsamen Meditierens mitbegründet. Seine Auskunft lautet: Die Meditation ist nicht Mittel zum Zweck, man praktiziert sie nicht, um etwas Bestimmtes zu erreichen. In den Worten Krepulats klingt dies wie eine japanische Weisheit: „Beim Zazen gibt es kein Um-Zu“. Allerdings kann der buddhistische Mönch ein paar angenehme Nebeneffekte auflisten: „Man wird gelassener, weniger engstirnig und kann besser loslassen. Man empfindet mehr Mitgefühl. Zazen hilft den Leuten, Stress abzubauen und Achtsamkeit zu entwickeln. Der Blutdruck normalisiert sich, und die Augen beginnen, wieder zu leuchten.“

Der Ingenieur Krepulat ist erst nach langer Suche auf den Zen-Buddhismus gestoßen. Schon als Teenager hat er sich mit den Antworten auf das „Woher?“ und „Wohin?“, die ihm die Eltern und die Kirche boten, nicht zufrieden gegeben. Er las Bücher über den Buddhismus, lernte Kung Fu und stieß dabei auf die Ideen des japanischen Zen-Meisters Taisen Deshimaru (1914-1982). Der Meister war 1967 nach Europa gekommen und hatte rasch eine Schar Anhänger um sich versammelt, mit der er die Verbreitung des Zen-Buddhismus in Europa vorantrieb. 1970 gründete er die Association Zen Internationale (AZI), der auch das Dojo in Stuttgart angehört. 1979 eröffnete er La Gendronnière in einem Schloss im Loire-Tal, den ersten Zen-Tempel in Europa.

Krepulat war dort 1987 bei einer Art Workshop für Zen-Meditation. „Man sitzt da mit 300 Leuten zusammen in einem Raum. Für mich war die Sitzhaltung ungewohnt, und ich konnte am Ende nur noch auf allen Vieren rauskriechen. Aber nach fünf Minuten wollte ich schon wieder wissen, wann es weitergeht.“ Für Krepulat war der Aufenthalt auf La Gendronnière ein Schlüsselerlebnis: „Die Fragen nach dem Sinn des Daseins, auf die ich immer Antworten gesucht hatte, haben sich plötzlich nicht mehr gestellt. Das Sitzen war die Antwort.“ Mit ein paar Gleichgesinnten eröffnete er 1990 einen Zirkel, der sich regelmäßig zum Zazen zusammenfand. Treffpunkt war die Kung-Fu-Schule im Stuttgarter Westen, wo er trainierte. Die Sportschule und die Buddhistengruppe zogen später gemeinsam in die Silberburgstraße um. „Einmal spazierte so ein Schlägertyp rein. Er war auf Ärger aus und meinte, ein paar Kung-Fu-Schüler hätten ihn beleidigt. Ich habe ihm gesagt, so was sei nicht in Ordnung, ich würde es dem Kung-Fu-Meister weitergeben. Doch jetzt möge er bitte gehen. Dann habe ich mich verbeugt. Und wissen Sie, was er da gemacht hat?“ Feist zugehauen? „Nein. Er hat es mir gleich getan und sich verbeugt. Dann ist er hinausgegangen. Ich hatte ihm durch meine Verbeugung Respekt gezollt, da musste er sich nicht mehr beweisen.“

Der Kung-Fu-Meister ist mittlerweile verstorben. Der Verein Zen Dojo Stuttgart residiert nun allein in der ehemaligen kleinen Fabrikhalle im Hinterhof. Die offene Halle mit ihren Säulen und Oberlichtern ist wie geschaffen fürs Meditieren. Etwa 30 aktive Mitglieder zählt der Verein. Krepulat sagt, dass es einen Unterschied macht, ob man allein oder in der Gruppe meditiert: „In der Gruppe ist die Konzentration besser.“ Das Dojo Stuttgart bietet regelmäßig Einführungen ins Zazen an. Geübte haben von Montag bis Freitag die Möglichkeit zum gemeinsamen Meditieren.

www.zendojostuttgart.de