Der Indikator „suPAR“ kann für viele Erkrankungen den Verlauf voraussagen. In dänischen Kliniken wird oft schon standardmäßig nach dem Biomarker im Blut gesucht. In Deutschland wird ab dem kommenden Jahr an Unikliniken daran geforscht.

Andrang in der Notaufnahme. Der diensthabende, noch junge Arzt muss die Fälle priorisieren – doch bei manchem Patienten ist äußerlich nicht ersichtlich, ob es sich um ein ernstes, gar lebensbedrohliches Problem handelt. Wäre dies eine dänische Klinik, könnte der junge Arzt entspannen. Dort hat es ein Biomarker seit diesem Jahr vielerorts in den klinischen Alltag geschafft, der in Deutschland und den USA bislang nur heiß diskutiertes Forschungsobjekt ist: der „soluble urokinase-type plasminogen activator receptor“, kurz „suPAR“. Der Marker entwickelt sich zurzeit zur Kristallkugel der Mediziner, denn er kann den Verlauf so unterschiedlicher Erkrankungen wie Sepsis, Krebs, Herzleiden, Nierenleiden sowie von Infektionen wie Malaria, Tuberkulose oder auch HIV vorhersagen.

 

Jesper Eugen-Olsen forschte 1999 an HIV, als er erstmals auf suPAR-Moleküle stieß. Eugen-Olsen ist Biochemiker am Universitätsklinikum von Kopenhagen. Er begleitete in den 1990er Jahren in einer Studie 314 HIV-Patienten über vier Jahre. Dabei stellte er fest: die Konzentration von suPAR im Plasma sagt für HIV-Infizierte verlässlicher voraus, wie es um die Zukunft des Patienten steht, als die Anzahl der Viren im Blut oder die verbliebene Zahl der CD4-Zellen. Ende der 1990er Jahre war über suPAR wenig bekannt. Seit es 1991 erstmals beschrieben wurde, hatten Forscher herausgefunden, dass es drei Hauptformen des Moleküls gibt und von denen wiederum Variationen der angehängten Zuckermoleküle. Eugen-Olsen gründete die Firma Virogates, die einen Schnelltest entwickelte, der für rund zehn Euro in 20 Minuten die Gesamtmenge aller suPAR-Varianten erfasst.

Heute weiß man einiges mehr über suPAR. Schon der Name verrät, dass es die „lösliche“ (soluble) Form von „uPAR“ ist, also ein uPAR-Molekül, das sich von der Zelle, auf der es eigentlich sitzt, gelöst hat. Offensichtlich ist suPAR an der Kommunikation der Zellen bei Entzündungen beteiligt. Produziert wird uPAR in unterschiedlichen Zelltypen, meist des Immunsystems, aber auch in Tumorzellen. Das abgespaltene suPAR findet sich im Blut und in anderen Körperflüssigkeiten aller Individuen. Es ist beteiligt an immunologischen Funktionen, der Signalweiterleitung und einigem mehr.

Vor allem aber weiß man, dass suPAR nicht nur bei HIV einen prognostischen Wert hat. Bei Tuberkulose-Patienten ist die Höhe des suPAR-Wertes ebenfalls mit dem Verlauf assoziiert. Deutlich wird die Stärke dieses Biomarkers in einer Studie von 2009, die sich mit rund 1000 Patienten befasste, die nach einem Tuberkuloseverdacht als nicht infiziert unbehandelt nach Hause geschickt wurden. Innerhalb von drei Monaten starben im niedrigsten suPAR-Quartil zwei Personen – im höchsten waren es 38. Weitere Studien haben inzwischen gezeigt, dass suPAR auch bei Malaria eine prognostische Funktion hat.

Für Industrieländer relevanter sind andere prognostische Funktionen von suPAR, die in den vergangenen Jahren nachgewiesen worden sind. Bei Bakteriämien mit Streptococcus pneumoniae, einem Erreger der Lungenentzündung, konnte allein ein suPAR-Wert über zehn Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) unabhängig von anderen Werten die Sterblichkeit vorhersagen. Ähnliches gilt für Infektionen mit Staphylococcus aureus und Escherichia coli.

Auch bei der Koronaren Herzkrankheit, der Leberzirrhose, Krankheiten des Nierenfilters wie zum Beispiel bei der Fokal Segmentalen Glomerulosklerose (FSGS) und Lungenkrebs haben Studien einen unzweifelhaften Zusammenhang zwischen der Höhe des suPAR-Wertes und dem Ausgang der Erkrankungen gezeigt. Das führte Jesper Eugen-Olsen schließlich zu der Frage: Was sagt suPAR eigentlich in scheinbar gesunden Individuen aus?

Dazu griff der Biochemiker auf Daten aus dem dänischen Teil der „MONICA10“-Studie zurück, die Individuen von 1993 an über 13 Jahre begleitete. Von 2602 Teilnehmern gab es aus den Jahren 2003/2004 Plasmaproben für eine suPAR-Bestimmung sowie Auskunft über die medizinische Vergangenheit und den Lebensstil inklusive bestimmter gesundheitlicher Risikofaktoren. 2010 publizierte Eugen-Olsen das Ergebnis seiner Forschung: Wer als scheinbar gesunder Mensch zu Beginn der Studie erhöhte suPAR-Werte hatte, wies ein signifikant größeres Risiko auf, an Krebs, Herz-Kreislauf-Leiden oder Typ-2-Diabetes zu erkranken – oder zu sterben.

Befürwortern von suPAR als bevölkerungsweitem Präventionstest geht es darum, dass Betroffene rechtzeitig ihren Lebensstil anpassen könnten, ähnlich wie schon heute bei erhöhtem Cholesterin. Bedrohlich hohe Werte könnten spezifische Untersuchungen nach sich ziehen. Frank Tacke, Gastroenterologe am Aachener Uniklinikum, hat den Test auf suPAR in Studien erprobt. „Bei Sepsis ist suPAR der beste prognostische Marker, den wir haben“, urteilt Tacke. Während andere Marker sofort nach der Gabe von Antibiotika abfallen – auch wenn es dem Patienten noch längst nicht bessergeht –, behält suPAR seine Aussagekraft. Und bei Lebererkrankungen habe suPAR sehr gut vorhersagen können, ob ein Patient möglicherweise Komplikationen entwickeln würde.

„Am hilfreichsten ist suPAR, wenn ein Patient sich frisch vorstellt und die Krankheit unklar ist“, findet Tacke. Unerfahrene Ärzte in der Notaufnahme hätten so ein Werkzeug, um schwer erkrankte Patienten „rauszufischen“. Der Gastroenterologe relativiert: Einem erfahren Arzt gelänge das wahrscheinlich auch anhand des Laborbilds. Auch falsch-negative Befunde kämen im Einzelfall durchaus vor. „Aber ich habe noch nicht erlebt, dass suPAR eine schwere Krankheit generell ,übersehen‘ hat“, bestätigt Tacke die Ergebnisse vieler Studien. In jedem Fall müsse ein hoher suPAR-Wert ein Alarmsignal sein.

Weshalb suPAR trotz der unzweifelhaften Datenlage bisher nur in Dänemark, nicht jedoch in Deutschland den Weg in die Kliniken gefunden hat, erklärt Tacke vor allem damit, dass bislang Studien fehlen, die zeigen, dass der Marker im klinischen Alltag auch tatsächlich zu besseren Behandlungen führt. Nicht ganz klar ist zudem, wo eigentlich der Normalwert für suPAR liegt. Meist ist die Rede von einem Wert um 2 ng/ml. Einzelne Studien sehen den Wert ein halbes Nanogramm höher oder tiefer. Die meisten Untersuchungen gibt es zu Menschen kaukasischer Ethnie. Andere ethnische Gruppen könnten abweichende Normalwerte haben. Selbst zwischen Männern und Frauen scheint es Unterschiede zu geben – und warum nicht auch zwischen Individuen allgemein? Noch gibt es somit in der Kristallkugel einige Flecken, die erst mal poliert werden müssen.

Es gibt viele verschiedene Varianten von suPAR

Marker
suPAR ist nicht nur ein Biomarker. Im Jahr 2011 machte Jochen Reiser, ärztlicher Direktor der medizinischen Fakultät an der Rush-Universität in Chicago, eine wichtige Entdeckung. Er identifizierte suPAR als direkten Verursacher einer Krankheit. Beim Nierenleiden FSGS verbessert sich der Zustand der Patienten, wenn suPAR aus dem Blut herausgefiltert wird. In Tierversuchen und an menschlichen Zellkulturen hat Reiser das bereits nachgewiesen.

Studien
Studien mit Mäusen zeigen, dass die Tiere kein Problem damit hatten, wenn das Gen für uPAR – und damit auch suPAR – gentechnisch ausgeschaltet wurde. Ein neuartiges Gerät für die menschliche Blutwäsche soll im Jahr 2015 an vier deutschen Unikliniken erprobt werden. Bis sich erneut größere Mengen suPAR angesammelt haben, sollten die behandelten Patienten beschwerdefrei sein. Steigt der suPAR-Wert, ist die nächste Blutwäsche fällig.

suPAR-Wert
Nur eine oder wenige der vielen Varianten von suPAR haben diese krankheitsverursachende Wirkung. Das erklärt, weshalb nicht jeder Sepsis-Patient, dessen suPAR-Wert oft zehn- bis 20-fach erhöht ist, an einem Nierenleiden erkrankt. Es sei nicht auszuschließen, dass bei anderen Erkrankungen mit hohem suPAR-Wert ebenfalls eine bestimmte Form des Markers ursächlich beteiligt sei, sagt Reiser. Dazu gibt es bislang keine Erkenntnisse