Harnblasenkrebs zählt zu den zehn häufigsten Krebserkrankungen in Deutschland. Im Frühstadium sind die Heilungschancen sehr gut. Deshalb sollten Sie Symptome sehr ernst nehmen und beim Arzt abklären lassen.

Stuttgart - Fast 30 000 Menschen erkranken in Deutschland jährlich an Blasenkrebs. Drei Viertel von ihnen sind Männer. Wissen Sie, bei welchen Symptomen Sie zum Arzt gehen sollten? Wenn nein, geht es Ihnen wie 60 Prozent der für eine Studie befragten Bundesbürger. Das ist schade, denn früh erkannt ist der Blasenkrebs gut behandelbar und oft heilbar. „Wer schmerzlos ist, aber erkennbar Blut im Urin hat, Harnverhalt oder Schmerzen in der Nierengegend, sollte dies unbedingt ärztlich abklären lassen“, sagt der Urologe Axel Merseburger, Direktor der Klinik für Urologie am Campus Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. Bei Frauen könne das Blut auch von der Menstruation oder einer Blasenentzündung stammen. Aber dem Verdacht auf Blasenkrebs müsse unbedingt nachgegangen werden.

 

„Zunächst kann man den Urin auf Blutspuren sowie enthaltene Schleimhautzellen auf etwaige Bösartigkeit untersuchen“, sagt der Urologe Arnulf Stenzl, Direktor der Tübinger Universitätsklinik für Urologie. Komme es innerhalb von zwei bis drei Monaten wiederholt zu Blasenreizungen mit häufigem Harndrang oder vermeintlichen Blasenentzündungen mit Blut im Urin, sollte die Blase gespiegelt werden.

Wer viel Kaffee trinkt, hat – anders als lange vermutet – kein erhöhtes Risiko

Als Risikogruppen nennen beide Experten Raucher sowie Menschen, die berufsbedingt viel mit Farbstoffen zu tun haben, die aromatische Amine enthalten. Dazu gehören etwa Friseure und Friseurinnen oder Beschäftigte in der Lack verarbeitenden Industrie. „Haarfärbemittel, die nur alle vier bis sechs Wochen angewendet werden, sind eher unbedenklich. Wer dagegen beruflich mehrfach täglich Menschen die Haare färbt, hat ein erhöhtes Risiko“, warnt Stenzl. Ähnlich können sich eine genetische Veranlagung oder eine Langzeitentzündung auswirken. Zu Letzterer kann es infolge von Blasensteinen und nicht behandelten Infektionen kommen. Wer viel Kaffee trinkt, hat dagegen – anders als lange vermutet – kein erhöhtes Blasenkrebsrisiko.

Je nachdem, wann die bösartigen Tumore entdeckt werden, sind sie entweder nur oberflächlich – oder sie haben bereits die Blasenschleimhaut durchdrungen, sind in den Blasenmuskel oder gar in benachbarte Organe eingewachsen. Blasentumore können laut Stenzl grob in drei Gruppen eingeteilt werden: Ein Viertel der Tumore sind „Schildkrötentumore“. Sie wachsen langsam. 50 Prozent verhalten sich wie Esel. Man müsse aufpassen, dass sie nicht plötzlich aktiv werden und „ausschlagen“. Das verbleibende Viertel ist am meisten gefürchtet. „Sie sind hochaggressiv, verhalten sich wie Löwen. Egal was man macht, sie sind tödlich“, beschreibt Stenzl diesen Typ. Grundsätzlich seien die Heilungschancen umso größer, je früher die Tumore entdeckt werden, sagt Merseburger. Die Art der Therapie und ihr Erfolg hängen davon ab, wie tief der Tumor in die Blasenwand hineingewachsen ist.

Der Tumor wird vom Chirurgen vorsichtig abgehobelt

Etwa 75 Prozent der Betroffenen haben Blasentumore, die noch nicht in den Blasenmuskel vorgedrungen sind. Sie werden abgehobelt, also scheibchenweise mit einer Elektroschlinge entfernt, die über die Harnröhre eingeführt wird. Das Verfahren heißt transurethrale Resektion (TUR). Dann wird die Harnblase mit einer chemotherapeutisch wirksamen Lösung gespült. Innerhalb der nächsten ein bis drei Jahre wird die Spülung mehrfach wiederholt. „Bei diesen oberflächlichen Karzinomen tritt in den ersten zwei Jahren nach der TUR in 80 Prozent der Fälle erneut ein Tumor auf“, warnt Merseburger. Um Rückfälle zu vermeiden, muss oft bei einem zweiten Eingriff zusätzliches Gewebe abgehobelt werden.

Neuerdings gibt es ein Verfahren, das es ermöglicht, den Tumor präzise mittels Laser oder Strom als Ganzes aus der Blasenwand herauszuschneiden und pathologisch beurteilen zu lassen. „Es besteht sonst unter Umständen das Risiko, dass man beim Ablösen des Tumors von seiner Unterlage in den Tumor oder zu tief in die Blasenwand hineinschneidet“, gibt Stenzl zu bedenken. In jedem Fall würde ein Teil der Blasenwand entfernt. Diese En-bloc-Methode hat Vorteile: „Der Pathologe sieht genau, wo die Tumorränder sind, wo der Tumor anatomisch saß und in welche Strukturen der Tumor hineinwächst.“ Außerdem können bei der Tumorentfernung weniger Zellen verschleppt werden.

Wird die Harnblase komplett entfernt, muss ein Ersatz geschaffen werden

Ist der Tumor in den Blasenmuskel eingewachsen, muss die Harnblase oft als Ganzes entfernt werden. Ist der Tumor klein genug, kann er auch mittels TUR abgehobelt oder mit dem neuen En-bloc-Verfahren entfernt werden. Bleibt die Blase erhalten, ist allerdings vor oder nach der TUR oder der En-bloc-Entfernung des Tumors manchmal zusätzlich eine Chemotherapie sowie eine Strahlentherapie nötig. Laut einer aktuellen US-Metaanalyse gibt es bei den Fünf- und Zehn-Jahres-Überlebensraten keine Unterschiede zwischen Blasenentfernung und Kombinationstherapie – in anderen Studien dagegen schon. Stenzl sieht die Kombination aus Tumorentfernung, Chemo- und Strahlentherapie nicht ganz unkritisch. Die Strahlentherapie könne dazu führen, dass die Harnblase massiv schrumpfe und die Patienten deshalb ständig – auch nachts – auf die Toilette müssten. Zur Chemotherapie könnte es in Form der Krebsimmuntherapie in Zukunft eine Alternative geben.

Wird die Harnblase komplett entfernt, muss ein Ersatz geschaffen werden. Bei älteren Menschen wird der Harn über ein „Stoma“ im Bereich des Nabels oder über die Bauchdecke ausgeleitet. Weiterhin ist es möglich, den Urin mit dem Stuhl über den After auszuscheiden. Bei jüngeren Betroffenen wird eine Harnblase aus einem längeren Stück Dünndarm rekonstruiert und an die verbliebene Harnröhre angeschlossen. Urologe Stenzl betont, dass die Blasenrekonstruktion bei Männern und Frauen möglich ist. „Es muss aber sehr sorgfältig operiert werden, weil bei Frauen, die von Natur aus eine kürzere Harnblase als Männer haben, jeder Millimeter bei der Blasenentfernung erhaltener Harnröhre zählt.“

Chemotherapie und Krebsimmuntherapie wirken etwa gleich gut

Die Krebsimmuntherapie könnte künftig beim fortgeschrittenen Harnblasenkrebs die Chemotherapie ersetzen. Ziel ist, das Immunsystem zu aktivieren. Dafür werden Wirkstoffe aus der Gruppe der monoklonalen Antikörper wie das jetzt in USA zugelassene Nivolumab oder Atezolizumab eingesetzt. Sie richten sich gezielt gegen ein Molekül namens PD-L1, das sich auf Tumorzellen und in den Tumor eindringenden Immunzellen befindet. Tumoren nutzen Stoffe wie PD-L1, um die Immunabwehr außer Kraft zu setzen. Inhibitoren wie Atezolizumab blockieren PD-L1. Dadurch geben sie der Körperabwehr wieder die Möglichkeit, den Tumor zu attackieren.

Eine US-Studie hat gezeigt, dass Chemotherapie und Krebsimmuntherapie etwa gleich gut wirken. Die Immuntherapie hat aber weniger Nebenwirkungen. Eine Chemotherapie kann Spätfolgen wie Hör- oder Gefühlsstörungen haben. Die PD-1-Hemmstoffe werden überwiegend gut vertragen, aber eben nicht von allen Betroffenen. Und nicht jeder Blasenkrebspatient spricht auf die Immuntherapie an – so wie auch nicht jeder auf eine Chemotherapie reagiert.