Stefanie Joos ist Hausärztin und seit diesem Jahr Professorin für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung an der Uni Tübingen. Ihr Lehrstuhl habe Modellcharakter, erklärt sie – und macht sich Gedanken über Zukunft des Hausarztes.

Stuttgart - Selten wird ihre Stimme scharf. In ihrer zurückhaltenden Art, aber mit konzentrierter Energie argumentiert Stefanie Joos gegen den viel propagierten Niedergang ihres Berufsstandes. „Nein, das stimmt nicht“, sagt sie nachdrücklich, wenn dem Hausarztberuf nachgesagt wird, er habe seine Lotsenfunktion im aufgewühltem Meer der Medizin verloren und gehe angesichts schwindender Praxen, voller Warteräume und massiver Nachwuchsprobleme auf Tauchstation.

 

Die erste Professorin für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Tübingen, die zugleich angestellte Ärztin in einer Karlsruher Hausarztpraxis ist, hält den Beruf des Hausarztes für nötiger denn je. „Denn er ist täglich am Patienten, sieht die Gesamtpersönlichkeit, begleitet den Menschen lange Zeit und versucht dessen Weg bei notwendigen stationären Aufenthalten zu ebnen. Und sieht ihn auch danach wieder.“ Und, so ist daraus zu schließen, je zersplitterter die medizinischen Angebote geworden sind, umso notwendiger sei jemand, der die Übersicht behalte.

Karriere zwischen Praxis und Wissenschaft

Stefanie Joos, 45 Jahre alt, stammt aus Karlsruhe, hat in Heidelberg Medizin studiert, dann als Assistenzärztin in Erlangen gearbeitet, ein Forschungsstipendium erhalten, schließlich zwei Jahre in einer ambulanten Praxis gearbeitet und ist 2004 wieder nach Heidelberg zurückgekehrt. An der dortigen Uniklinik ist sie an der Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung leitende Oberärztin und Professorin geworden und hat das Kompetenzzentrum Allgemeinmedizin für Baden-Württemberg wissenschaftlich geleitet. Wenn man so will, keine ganz ungewöhnliche Kariere, aber eine beharrliche. „Ich habe immer zwischen Praxis und Wissenschaft geschwankt“, berichtet sie. Spätestens jetzt in Tübingen hat sie als ärztliche Leiterin des Instituts für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung offenbar ihre endgültige Berufung gefunden.

Zwei Schwerpunkte fallen in ihrem Lebenslauf auf: Ihre Promotion hat sie 1998 zum Thema Akupunktur bei Asthma geschrieben, ihre Habilitation 2010 zur Komplementärmedizin. Sie sei offen, sagte sie, wenn neben der etablierten Medizin auch andere Weg beschritten würden. Ganz bewusst spricht sie nicht von alternativer Medizin, sondern von Komplementärmedizin, von Ergänzung und nicht von Alternativen zur Schulmedizin. Diese Schwerpunkte wird sie auch in Tübingen beibehalten, und diese Erweiterung des Spektrums wird auch in der kassenärztlichen Gemeinschaftspraxis in der hausärztlichen Praxis in Karlsruhe angeboten.

Spagat zwischen Karriere und Mutter

Die Hausarzt-Professorin Stefanie Joos entstammt einer Generation von weiblichen Medizinern, die sich gegenüber ihren männlichen Kollegen nicht mehr so hat beweisen müssen wie in früheren, von Männern dominierten Jahrgängen. Und wenn diese Frauengeneration noch dazu Partner hat, die bereit sind, ein Gutteil der Elternlast zu übernehmen, dann kann sie vielleicht auch noch Karriere machen. Stefanie Joos, Mutter eines inzwischen 16-jährigen Sohnes, hat offenbar mit ihrem Ehemann, der selbst Arzt ist, einen Partner, der bereit ist, seine Arbeitszeit zu reduzieren. „Ein wichtiger Faktor“, wie die Professorin meint, der das Leben von Ärztinnen leichter machen kann. Aber für einen echten Wandel brauche es Generationen.

Diesen aus ihrer Erfahrung gespeisten optimistischen Grundton behält sie auch bei, wenn es um die Beurteilung der Zukunft von Hausärzten geht. Es stimme zwar, dass in Baden-Württemberg ein Drittel aller Hausärzte über sechzig sei und damit die Versorgungslücken hier immer größer würden. Aber es stimme eben auch, dass 80 Prozent aller Hausärzte in Baden-Württemberg nach einer von ihr mitgetragenen Befragung mit ihrem Beruf zufrieden seien. Also komme es entscheidend darauf an, die Medizinstudenten für diesen Beruf zu gewinnen. Dazu gehöre auch, die Einsicht zu befördern, dass gemeinschaftlich betriebene Praxen zukunftweisend seien, weil sich die unbestreitbaren Belastungen des Berufsalltages so leichter verteilen und erträglicher machen lassen.

Zusammenarbeit mit 250 Lehrärzten

Genau an diesem Punkt setzt sie mit ihrer Lehr- und Forschungsarbeit an der Uniklinik an: Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium, enge Zusammenarbeit mit etwa 250 Lehrärzten, also Ärzten aus der Praxis, eigener Lehrstuhl mit fünf Mitarbeitern und Konzentration auf hausarztnahe Themen, zugleich enge Vernetzung mit den anderen medizinischen Fachbereichen an der Klinik. Ihr Lehrstuhl habe Modellcharakter, erklärt sie und sieht sich dabei von den universitären Gremien gut unterstützt. Von einer ,,wichtigen Brückenfunktion“ zwischen niedergelassenen Ärzten und Uniklinikern sprach Tübingens Klinikums-Präsident Michael Bamberg anlässlich der Einführung der Allgemeinmedizin-Professorin Joos. Dass wichtige Vorarbeit auf dem Weg zu einem eigenen Lehrstuhl für Allgemeinärzte von dem langjährigen Haus- und Lehrarzt Gerhard Lorenz geleistet worden ist, erwähnt sie im Gespräch ausdrücklich.

Noch führt ein etwas verschlungener Weg zu der Institutsetage in Tübingens Österbergstraße 9. Doch das ist bald vorbei: Dann zieht Stefanie Joos mit ihren Mitarbeitern näher ins Zentrum zur Uniklinik. Da gehört ein solches Institut auch hin, wenn es mitten im Leben sein will.

Begehrte Allgemeinmediziner

Ausbildung In den vergangenen Jahren hat es an mehreren Unikliniken erfolgreiche Versuche gegeben, die Ausbildung zum Hausarzt an einem eigenständigen Lehrstuhl zu etablieren. Diese Neugründungen liefen zeitlich parallel zur der sich abzeichnenden Mangelversorgung durch hausärztliche Kassenpraxen vor allem auf dem Land. Lehrstühle für Allgemeinmedizin gibt es heute an einem Großteil der medizinischen Fakultäten: außer in Tübingen zum Beispiel in München, Erlangen und Düsseldorf. Dabei sind die betreffenden Lehrstühle in der Regel mit einem festen Netz qualifizierter Hausärzte verbunden, die als Lehrärzte den Studenten praxisnahe Fachkenntnisse vermitteln.

Zeitmangel Zehn bis 15 Minuten hat ein Hausarzt im Durchschnitt Zeit für Gespräche mit Kassenpatienten. Dies sei zu wenig, meint nicht nur die Tübinger Allgemeinarzt-Professorin Stefanie Joos. Dabei seien es in der Mehrheit Befunde wie Atemwegsinfekte, Nacken- und Rückenprobleme, aber auch psychische Probleme, Übergewicht, Diabetes und Bluthochdruck, die viel Zeit zur Beratung erforderten,betont die Medizinerin.

Lücke Etwa zehn Prozent eines Ausbildungsjahrgangs entscheiden sich nach Schätzungen der Universität Tübingen für die Spezialisierung zum Hausarzt, davon 70 Prozent junge Frauen. Dieser Anteil sei zu gering, findet Stefanie Joos. Vielmehr seien 25 Prozent notwendig, um die Lücke zu füllen, die durch die Altersentwicklung bei den Hausärzten entstehen wird.