Das Erbgut hat einen großen Einfluss auf den Geruchssinn. Etwa 350 Gene sind für das Riechen reserviert.

Stuttgart - Gehören Sie zu der kleinen Minderheit, die Vanille nicht riechen kann? Fünf Prozent der Menschen nehmen den Duft des Gewürzes kaum wahr. Noch höher ist der Anteil derjenigen, die bei Moschus keine Reaktion zeigen. Diese Menschen haben einen kleinen Fehler in ihren Genen. Der Geruch von Vanille oder Moschus bleibt ihnen für immer verborgen. „Wir können unseren Geruchssinn zwar trainieren, aber nur im Rahmen der persönlichen, genetischen Ausstattung“, erklärt Hanns Hatt, Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Etwa 350 Gene hat der Mensch für das Riechen reserviert. Der Geruchssinn stellt damit die größte Gen-Familie in unserem Erbgut. Hatt hat einige dieser DNA-Abschnitt identifiziert und ihre Aufgabe beschrieben.

 

Die Betroffenen eines Defekts in der DNA bemerken den Fehler gar nicht. Vanille, Moschus oder die anderen Aromen erreichen unsere Nase meistens in einer bunten Mischung mit anderen Duftmolekülen. Chemisch gesehen reizen bis zu 150 verschiedene Substanzen das Riechsystem. Wenn dabei einer von 350 Geruchssensoren wegen eines Gendefekts ausfällt, fehlt dieser Teil im Dufterlebnis. Ein Vanillepudding riecht dann anders, aber vermutlich noch immer lecker. Denn ob ein Geruch uns gefällt, liegt vor allem am Besitzer der Nase. „Die Bewertung von Düften ist weder objektiv noch genetisch festgelegt“, ergänzt der Biologe, „sie ist entweder von den Eltern oder der Gesellschaft anerzogen oder durch eine persönliche Erfahrung geprägt.“ Gerüche werden im Gehirn sehr visuell gespeichert. Meistens existiert zu dem, was die Nase gerochen hat, in unserem Kopf auch ein Bild. Wer die Welt der Düfte betritt, macht quasi einen Ausflug in seine Erinnerungen.

Der Geruchssinn wird schon im Mutterleib geprägt

Wie stark das Gehirn beim Riechen mitspielt, zeigt ein einfaches Beispiel. Eltern, die gerade ihr Baby wickeln, empfinden den Geruch von Fäkalien anders, als wenn der Duft aus einer fremden Toilette aufsteigt. Wen der strenge Geruch eines Käses sofort an ekligen Fußschweiß erinnert, der wird dafür in seiner persönlichen Duftbibliothek eine Erklärung finden. Menschen werden schon früh auf ihren Geruchssinn geprägt. „Ab der 27. Schwangerschaftswoche hat sich das Riechsystem voll ausgebildet“, sagt Hatt, „der Embryo riecht dann bei seiner Mutter mit.“ So lässt sich erklären, dass manche Kleinkinder kräftige Aromen wie Knoblauch oder Anis als angenehm empfinden.

Die Evolution hat den Geruchssinn beim Menschen zusammengestrichen. Riechen ist entbehrlich geworden. 350 Gene sind zwar immer noch sehr viele, aber nur ein Drittel dessen, was dem Menschen in früheren Zeiten zur Verfügung stand. Die meisten Tiere sind uns bei diesem Sinn deutlich überlegen, nicht nur was das Erschnüffeln von Gerüchen betrifft. Forscher am Max-Planck-Institut für Neurogenetik in Frankfurt haben beispielsweise entdeckt, dass Mäuse sogar den Sauerstoffgehalt der Luft riechen können. Vermutlich haben sie diese Fähigkeit entwickelt, damit sie in Höhlen nicht ohne Vorwarnung ersticken. Mäuse können auch Katzen riechen, genauer gesagt besitzen sie Geruchsrezeptoren, die auf Proteine reagieren, die in den Drüsen und im Speichel von Wirbeltieren gebildet werden.

Doch obwohl die Forscher mittlerweile viel über die Mechanismen des Riechens wissen, bleiben die Gene noch rätselhaft. Ihre Struktur wurde zwar entschlüsselt, aber nur bei einem Fünftel der Gene ist bekannt, für welche Duftwahrnehmung ihr Code verantwortlich ist. Der Geruchssinn ist recht gleichmäßig über das Erbgut verteilt, bei Männern und Frauen gibt es keinen Unterschied.

Geschmack entsteht nicht nur auf der Zunge – die Nase spielt eine wichtige Rolle

Einem Geruchsforscher wie Hanns Hatt stinkt es gewaltig, dass die meisten Menschen sich nur wenig um ihren Geruchssinn kümmern. „Die Nase ist in der Mitte unseres Gesichts, aber nicht in der Mitte unserer Aufmerksamkeit“, sagt er. Ihre Bedeutung werde meistens unterschätzt. „Wir sagen beim Essen, dass es uns schmeckt“, erklärt er, „dabei entsteht der volle Geschmack erst in der Nase, weil die Zunge nur wenig Geschmacksrichtungen kennt.“ Nicht das einzige Versäumnis im Umgang mit der Nase. „Die meisten Menschen wissen nicht, ob sie rechts- oder linksnasig atmen“, fügt Hatt hinzu. Wir nehmen die Luft nämlich nur durch eines der beiden Nasenlöcher auf – entweder das rechte oder das linke. Nach ein paar Stunden wechseln wir. Während wir das eine Nasenloch benutzen, kann sich das andere von den Gerüchen dieser Welt erholen. Hatt hat beobachtet, dass das Wissen um die eigene Nasigkeit den meisten Menschen fremd ist, obwohl es alle betrifft. Außerdem ist die Nase ein unermüdliches Organ. „Jeder Mensch riecht jeden Tag 24 Stunden ohne Pause, auch in der Nacht hört die Nase nicht auf“, sagt Hatt. Nach seiner Ansicht erklären sich manche Schlafstörungen damit, dass es im Zimmer nicht gut riecht.

Die Bochumer Forscher haben aktive Geruchsgene auch außerhalb der Nase gefunden. Eine Überraschung: Sämtliche Gewebetypen des menschlichen Körpers reagieren auf bestimmte Düfte. Die Zellen sind natürlich nicht so empfindlich wie die darauf spezialisierte Nase, aber rund ein Dutzend der 350 Geruchsgene sind auch in den Organen eingeschaltet. Welche das sind und wie viele, das ist von Gewebe zu Gewebe unterschiedlich. „Die Organe können nicht riechen, aber sie zeigen eine deutliche Reaktion, wenn sie dem Duft ausgesetzt werden, für den sie ein aktives Geruchsgen besitzen“, erklärt Hanns Hatt. Der Mediziner hat das mit zahlreichen Laborexperimenten untermauert.

Hautzellen reagieren positiv auf den Duft des Sandelholzes. Die Muskelzellen der Bronchien entspannen bei Bananengeruch. Der Geruch nach Fett lässt Herzzellen langsamer schlagen. Selbst Krebszellen werden unter Laborbedingungen von Düften beeinflusst. Veilchenduft reduziert die Teilungsrate eines Prostatatumors, Zitrusduft wirkt sich positiv auf ein Leberkarzinom aus. Für Hatt ist es denkbar, dass sich aus der Duftempfindlichkeit neue Therapien entwickeln könnten. Aber die Bochumer stehen noch ganz am Anfang des langen Weges bis zur möglichen Anwendung in der Klinik.

Info

Atmung

Die Nase spielt schon beim Einatmen eine wichtige Rolle. Kalte Luft wird angewärmt, trockene durch die Schleimhäute angefeuchtet. Die Nasenhaare und das Sekret reinigen die Luft, weil Staub und Pollen am Flimmerepithel haften bleiben. Der Mensch transportiert sie durch Niesen nach außen oder schluckt sie herunter.

Gehirn

Über den Riechnerv Nervus olfactorius werden die Eindrücke der Riechzellen direkt an das Gehirn weitergegeben. Manche Duftstoffe wie etwa Pheromone lösen dort unbewusst Reaktionen des Körpers aus, die für Sexualität wichtig sind. Die Riechschleimhaut enthält Rezeptoren für Duftmoleküle, etwa 30 Millionen solcher Zellen sitzen beim Menschen am Dach der Nasenhöhle.

Duft

Jeder Rezeptor reagiert nur auf einen bestimmten Typ von Duftmolekülen, das sich an ihn bindet. Wenn der Rezeptor belegt ist, kann er keine weiteren Gerüche aufnehmen. Deshalb erneuern sich Riechzellen im Durchschnitt einmal pro Monat.